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Übernahme von Politpraxis oder neuer Kunstansatz? Mittwochs bis sonntags um 16 Uhr trifft sich im Guggenheim Lab das Plenum zur Diskussion

© dpa

Eine Bilanz: Das Guggenheim Lab und die Strategie der Umarmung

Umkämpftes Hassobjekt und Avantgarde-Kunst in Einem: Das Guggenheim Lab erregte die Gemüter schon lange vor seiner Eröffnung. Aber wie berechtigt war die Kritik im Voraus? Ein Rückblick zur Schließung.

Das ist schon ein interessanter Kontrast: Unter dem perforierten Dach des BMW Guggenheim Lab stehen Menschen in praktischer Funktionskleidung und graben mit schwarzen Fingern in der Erde. Der Holztisch quillt über vor kleinen Plastikschalen mit schmucklosen, grünen Blättern. Und immer weiter kommen Töpfchen hinzu, während die Hobbygärtner über ihre Arbeit im Berufsalltag sprechen. Über Vorstände und andere Berufungen: „Eigentlich bin ich ja Künstlerin ...!“

Im Guggenheim Lab stehen sie einträchtig nebeneinander und lassen sich praktische Tipps für das Guerilla Gardening geben. Doch selbst wenn das Ziel – die florale Gestaltung städtischer Brachen – den Unterschied zum heimeligen Eintopfen im Schrebergarten ausmacht, glaubt man doch, eine Bastelstunde im Wohnzimmer der Avantgarde zu erleben. War das die Absicht der Initiatoren eines Projekts, um das im Vorfeld so viel gestritten wurde?

Corinne Rose sagt selbstbewusst: Ja. Und als wären die Fahrradkurse für Frauen oder die „Freiluft-Fitness mit Arne Schönwald“ nicht schon genug der praktischen Unterweisungen, setzt sich die Kuratorin auch noch so häufig wie möglich hinter das Steuer eines feuerroten Mobils und düst durch die Stadt, um über die Gefahren der städtischen Immobilienverkäufe aufzuklären. Das klingt nach niederschwelligen Angeboten, wie sie auch im Nachbarschaftsheim ihren Platz finden würden. Weshalb also diese schicke Hülle, bezahlt von BMW und einer amerikanischen Kunstinstitution, die in der Vergangenheit viel Schelte für ihre globale Expansionslust einstecken musste?

Video: Selbst Hand anlegen im Guggenheim Lab

Dass beide virulente soziale Themen für sich beanspruchten und sich an die Spitze der Diskussionen zu setzen versuchten, wurde den Sponsoren immer wieder vorgeworfen. Wer im Programm blättert, der wundert sich: Betrifft das den Workshop „Stadtleben: durch Kinderaugen“ oder doch eher „Qi Gong und Standmeditation“ am Freitagmittag? Selbst wissenschaftliche Vorträge über die „Psychologie der Ästhetik“ von Univ.-Prof. Dipl.Psych. Dr. Helmut Leder liefern eher Stoff für eine Sommerakademie als für abstrakte Debatten. Schließlich wurde jeder Vortragende aufgefordert, sein Thema allgemeinverständlich darzulegen.

Ökonomische Hochleister, Professoren und Künstler – graswurzelbewegt. Das kann nicht gutgehen. Oder vielleicht doch? Die fünf Berliner Kuratoren, die ein mit Daniel Barenboim und dem Künstler Rirkrit Tiravanija prominent besetzter Beirat auswählte, haben trotz der visuellen Allgegenwart der Sponsoren eine neue Erfahrung gemacht: die der gestalterischen Freiheit.

Keiner der beiden Geldgeber habe sich eingemischt und versucht, das Programm zu lenken. Ihr Spielraum sei sogar größer gewesen als bei anderen kulturellen Projekten, betonen Corinne Rose und Lutz Henke, der den Kreuzberger Kunstverein Artitude mitbegründet hat und nun im Guggenheim Lab für eine reibungslose Kommunikation sorgt. Die unangenehmen Pflichten hatten zuvor andere geschultert. So wie Maria Nicanor vom New Yorker Guggenheim Museum, die auch Wochen nach der Eröffnung nicht zu erwähnen vergisst, dass der Pfefferberg die ursprünglich favorisierte Adresse war – bis die Stadt auf die Idee mit Kreuzberg kam, wo sich dann aber vehementer Protest formierte.

Weniger ist mehr, oder umgekehrt: Wurde das Guggenheim Lab seinem Anspruch gerecht?

Wirklich ungern erinnert sie sich an ihre Einladung in den Kulturausschuss, an eine Befragung, die von allen Seiten moralische Ansprüche erhob. Um so mehr erstaunt es, dass ausgerechnet die Vertreter der Stadt im Juli einen Rückzieher machten, als es um unbequeme Themen ging: um den Verkauf städtischer Grundstücke und Liegenschaften, über die man in der Reihe „Soziale Stadt gestalten“ gerne mit Experten debattiert hätte. Doch die zuständige Staatssekretärin Margaretha Sudhof sagte ebenso kurzfristig ab wie der Geschäftsführer des Liegenschaftsfonds.

Ausgerechnet dort, wo das Guggenheim Lab mit Ausfällen zu kämpfen hat, offenbaren sich auch seine Qualitäten. Das ist nicht die temporäre Architektur, die auf Fotos überwältigend daherkam und sich real als Box mit Gardinen entpuppt, die nicht einmal Schutz vor Wind bietet. Es ist ihr symbolischer Gehalt. Die Box war ja schon Feindbild, bevor ihre Funktion im Detail für Berlin überhaupt geklärt worden war. Dafür schien endlich Gestalt anzunehmen, was die Stadt momentan in ihrem Innersten bewegt: steigende Mieten, Verdrängung, gated communities. Phänomene mit spürbaren Konsequenzen, deren Urheber jedoch nur schwer zu fassen sind.

Umso mehr boten sich die Labelnamen BMW und Guggenheim als Vehikel an, um die Ängste zumindest für eine Weile zu kanalisieren. Zur Eröffnung im Juni war die Zahl der Protestler allerdings schon sichtlich geschrumpft. Erst wurden sie von den Sicherheitskräften nicht auf den Pfefferberg gelassen. Später ließ das Interesse dann so schnell nach, dass nicht eine Veranstaltung nachhaltig gestört wurde.

Rückblick: Die Eröffnung des Labs

Vielleicht lag es aber auch an der Harmlosigkeit der Workshops und vieler Vorträge. Noch in der Phase der Vorbereitung retteten sich Guggenheim-Kuratoren wie Maria Nicanor in wolkige Begriffe wie Gentrifizierung. José Gómez-Márquez, Rachel Smith, Corinne Rose und aktuell Carlo Ratti haben die jeweils von ihnen verantworteten Programme mit derart konkreten Themen gefüllt, dass sich niemand mehr hinter verbalen Abstraktionen verstecken kann. Das führt allerdings zu neuen Irritationen und Grübeleien. Wenn etwa Maria Nicanor feststellt, man habe die erste Lab-Station in New mehr zur analytischen Auseinandersetzung genutzt, fragt man sich, weshalb sich in Berlin alles so handwerklich verkleinert. Man muss der Stadt nicht geben, was längst ihre Identität ausmacht. Auch wenn hinter der Entscheidung die grundsätzliche Frage steht, welches die bessere Strategie ist: Reden oder Handeln.

Eigentlich Handeln – aber in Berlin findet Aktivismus längst an allen Ecken statt. Und wie viele Kolloquien, Symposien und Fachtagungen hat es nicht schon gegeben? Stadtplaner unter sich, Stadtplaner mit Politikern usw. Im Guggenheim Lab sollten andere zu Wort kommen – Anwohner mit eigenen Erfahrungen und individuellem Blick. Gern im Dialog, damit beide Seiten voneinander lernen. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Mit konstruktiven Diskussionen wie über die Zukunft des Checkpoint Charlie zwischen Souvenirs und Würstchenbuden. Und den notorischen Besuchern, die sich vor allem selbst profilieren.

Nicht bei allen funktioniert die Strategie der Umarmung, schon weil die verbindliche Lab-Sprache Englisch war. Das schloss viele aus. Eine andere Art der Exklusion ist die Unterforderung. Wer seinen Geist anfüttern wollte, der blieb hungrig. Nicht jeder verändert seine Stadt, indem er sich mit den Fingern durch die Erde gräbt.

Video zum ursprünglich geplanten Standort Kreuzberg:

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