zum Hauptinhalt

Kultur: Eine Brücke aus Bildern

Der Meister und seine Heimatstadt Dresden : Heute feiert Gerhard Richter 75. Geburtstag

Als im August 2002 die Dresdner Museen von den Wassermassen der Weißeritz und des Kaitzbaches, den Flüssen und Bächen aus dem Erzgebirge, vom Grundwasser und schließlich von dem Hochwasser der Elbe an den Rand einer Katastrophe gedrängt wurden, kam uns Hilfe von allen Seiten zu. Über 40 Künstler folgten dem Aufruf, Werke für eine Solidaritätsauktion zu Gunsten der Staatlichen Kunstsammlungen zur Verfügung zu stellen. Mit der Stiftung des großformatigen Gemäldes „Fels“ (1989) von Gerhard Richter, das für 2,6 Millionen Euro zugeschlagen wurde, und den weiteren überaus positiven Ergebnissen dieser Auktion konnte der Grundstock für ein hochwassersicheres Depot gelegt werden. Auf diese Weise wurde der „Fels" für die Staatlichen Kunstsammlungen zum sicheren Rückhalt gegen die Flut und zum festen Grund für einen Neuanfang. Der heute vor 75 Jahren in Dresden geborene Maler hat sich damit zugleich seiner Vaterstadt nach Jahren der Entfremdung auf dem Wege der Kunst wieder angenähert.

Seit 1993 bereichert Gerhard Richters Bild „Sekretärin“ (1964) als Leihgabe der Sammlung der Bundesrepublik Deutschland die Galerie Neue Meister. Nachdem der „Fels“ als Leihgabe des anonymen Käufers seinen Platz in der Oberlichtgalerie des Albertinums zusammen mit der Schenkung „Abstraktes Bild“ (1990) und der „Sekretärin“ gefunden hatte, stellte sich heraus, dass mit diesen drei Arbeiten der Einblick in das Schaffen Richters nur sehr unzureichend möglich war. Der Künstler erklärte sich deshalb bereit, eine repräsentative Auswahl in drei Räumen der Galerie einzurichten.

Zum ersten Mal wurde sichtbar, wie sehr das Werk dieses 1961 wenige Monate vor dem Mauerbau in die BRD „geflüchteten“ Malers mit Dresden verhaftet blieb. Vor allem die fotorealistischen Bilder, die nach Vorlagen aus der Tagespresse und dem persönlichen Bildarchiv des Künstlers entstanden, zeigen eine Verbindung zu Bildern aus der Dresdener Gemäldegalerie. Die „Sekretärin“, in dezentem Grau oben und unten angeschnitten, von rechts nach links schreitend, geht dem „Schokoladenmädchen“ entgegen. Jean-Etienne Liotards Pastell (1744-45) gehört zu den bekanntesten Werken der Gemäldegalerie Alte Meister. Richter transformierte somit ein weltberühmtes Motiv aus der Dresdener Galerie in die Gegenwart: Beide Gemälde werden als Begegnung zweier Schwestern in ihrer geschichtshaltigen Bedeutung neu erschlossen.

Die Vorlage zu „Motorboot (1. Fassung)“ von 1965 ist ein in der Zeitschrift „Stern“ veröffentlichtes Werbefoto der Firma Kodak. Das Bild vom ekstatischen Erlebnis im rasenden Motorboot trägt in sich eine Lebenshaltung der sechziger Jahre, aber auch ihre Gefährdung. Die vom scharf gestochenen Foto für das Gemälde wieder in Unschärfe verwandelte Darstellung verdichtet sich zum Bild einer Gesellschaft, die Glücksversprechen mit technologischem Fortschritt verbindet. Wieder kann man das „Motorboot“ als Antwort auf ein Bild der Gemäldegalerie verstehen: „Die Überfahrt am Schreckenstein“ (1837) von Ludwig Richter. Der Richtungslosigkeit der rasenden Motorbootfahrt, deren eigentlicher Sinn sich im Geschwindigkeitsrausch erfüllt, steht der Fährkahn in Richters Hauptwerk der Spätromantik gegenüber. Bei genauerer Betrachtung ist an Stelle einer Überquerung das langsame Dahingleiten auf der Mitte des Stromes dargestellt; die Menschen im Fährkahn sind Zeitgenossen des Biedermeier, sie nehmen sinnend das Vorbeiziehen von Gegenwart und Vergangenheit wahr, ohne in diesen Prozess einzugreifen.

Ein zentrales Werk ist die leichte und zugleich schwergewichtige Arbeit „11 Scheiben“ (2004). Glas und Spiegel kommen als Materialien diesem „Meister im Distanzhalten“ (Robert Storr) entgegen. Der Spiegel dient Richter als Arbeitsinstrument zur Überprüfung der Komposition. Die hintereinander gestaffelten Glasscheiben spiegeln ihr Gegenüber. Zugleich stellen sie durch die Brechung der Konturen automatisch Unschärfe her. In der Präsentation der 15 Gemälde „18. Oktober 1977“ spiegelten die „11 Scheiben“ den vor ihnen stehenden Betrachter und im Hintergrund die große Bildtafel der „Beerdigung“. Als Vorlage der „Beerdigung“ diente wiederum ein Polizeifoto, das die Identifizierung der die drei Särge begleitenden „Sympathisanten“ ermöglichen sollte. Der Trauerzug auf dem Stuttgarter Dornheckenfriedhof ist scheinbar zum Stillstand gekommen. Das ursprünglich scharf abgemalte Foto wurde von Richter im ungetrockneten Zustand mit breitem Pinsel überstrichen und wieder in den Fluss der Zeit und der Bewegung zurückgegeben. Die in den „11 Scheiben“ gespiegelte Erscheinung des Betrachters mit der im Hintergrund hängenden „Beerdigung“ scheint die bildliche Darstellung dessen zu sein, was Richter selbst mit den Worten bezeichnet: „Alles sehen, nichts begreifen.“

Während der Schließung des Albertinums sind eine Auswahl von Gemälden aus dem Bestand der Galerie Neue Meister und Werke Gerhard Richters in Los Angeles zu sehen. Neben 13 Bildern aus Dresden, die in spannenden Gegenüberstellungen mit der Getty-Sammlung präsentiert werden, bilden acht Hauptwerke von Caspar David Friedrich und eine Serie von zwölf abstrakten Bildern Gerhard Richters (als Leihgabe aus dem Museum of Modern Art, New York) den Höhepunkt dieser Schau. Beide Werkgruppen zeigen, wie in der Naturerfahrung Welthaltigkeit und damit auch Geschichtlichkeit zur Erscheinung kommen kann. Beide Künstler haben durch ihre intensive Genauigkeit mit herrschenden Traditionen gebrochen und damit für ganze Künstlergenerationen den Weg für neue Entwicklungen freigemacht.

Indem Friedrichs Landschaftsmalerei plötzlich Welt als Ganzes beinhaltet und verkörpert – in der Form, dass die Wahrnehmung der äußeren Realität durch die Aneignung des Künstlers zur inneren Realität wird und dann als Bild wieder in den Kreislauf der Dinge tritt –, können wir bei der Betrachtung der Werke am veränderten Wahrnehmungsprozess teilhaben. Gerhard Richters zwölfteilige Serie aus dem Jahr 2005, mit großformatigen farbigen Bildern im Hochformat, füllt den neben dem Friedrich-Saal liegenden, gleichgroßen Raum wie ein umlaufendes Band. Die Wahrnehmung der „Wald“ betitelten Gemälde-Serie verbindet sich zunehmend mit der bei Friedrich gesehenen Landschaft. Die Betrachtung wird zum Gang durch einen dichten Wald, in dem Licht und Dunkelheit den jeweiligen Farben ihren lebendigen Akzent verleihen. Die beiden bedeutendsten Maler Dresdens begegnen sich hier über Zeit und Raum.

Ulrich Bischoff ist Direktor der Galerie Neue Meister Dresden. Er holte, gemeinsam mit Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Gerhard Richter 2004 mit einer Ausstellung in seine Heimatstadt zurück. Der Maler hat Dresden seitdem zahlreiche Schenkungen und Dauerleihgaben gemacht.

Ulrich Bischoff

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false