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Kultur: Eine doppelte Gratulation

Der Zufall will es - und der Zufall ist, bekanntermaßen, neben dem Chaos der größte Sinnstifter - der Zufall will es, dass heute Joachim Fest wie auch Michael Naumann Geburtstag haben. Naumann wird 60, Fest 75.

Der Zufall will es - und der Zufall ist, bekanntermaßen, neben dem Chaos der größte Sinnstifter - der Zufall will es, dass heute Joachim Fest wie auch Michael Naumann Geburtstag haben. Naumann wird 60, Fest 75. Anlass also, dass beiden verdienstvoll Langgedienten öffentlich Glück gewünscht und gedankt wird. Beide waren oder sind sie Zeitungsherausgeber. Der eine, Naumann ist es, gemeinsam mit Josef Joffe bei der "Zeit", der andere war es von 1973 bis 1993, also 20 Jahre lang, bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dort war er für die Kultur zuständig und verantwortlich, dass der Kulturteil der FAZ das wurde, was er bis heute geblieben ist (auch wenn Fests Nachfolger Frank Schirrmacher von Zeit zu Zeit von heftigen Innovationsschüben angetrieben wird): das fundierteste Feuilleton in der deutschsprachigen Zeitungslandschaft.

Herausgeber also beide. Der Frage allerdings, was ein Herausgeber "eigentlich" sei, möchte sich der Gratulant hier, wohlwissend, nur ungern stellen. Zu sehr erinnert sie ihn an die Frage, die man einem Mann mit langem weißem Bart stellte: "Sagen Sie, Sie haben so einen wunderschönen langen weißen Bart. Schlafen Sie eigentlich mit dem Bart über der Decke oder unter der Decke?" Von Stund an konnte der Bärtige nicht mehr einschlafen. Sein Bart war, wie man heute sagen würde, problematisiert.

Trotzdem gibt es bei Fest und Naumann gemeinsame, ihren Herausgeberberuf unterstützende Aufgaben. Beide gehören sie zu dem in Deutschland eher seltenen, für das demokratisch-liberale Gemeinwesen aber unentbehrlichen Typus des Repräsentanten. Des Repräsentanten, wie ihn Thomas Mann definiert und gelebt hat und wie ihn Robert Musil im "Mann ohne Eigenschaften" in der Arnheim-Figur als Rathenau-Porträt und -Karikatur beschrieben hat: als preußische Erscheinung im südlichen Kakanien.

Joachim Fest ist eine solche preußische Erscheinung, und er repräsentiert den konservativ-liberalen deutschen Bürger, der sich auch deshalb so lebhaft mit den Jahren der Hitlerei auseinandersetzt, weil die Nazi-Herrschaft zu einer Pervertierung der preußischen Antriebskräfte wurde, bis sie mit Blut besudelt, mit Schande befleckt waren.

Unter den drei großen Hitler-Biografien, der Bullocks, der Fests und Kershaws (rechnet man noch Sebastian Haffners kluge Anmerkungen zu Hitler dazu, dann sind es dreieinhalb) nimmt Fest die Mitte ein: In feingeschliffener Prosa, die kühl, anschaulich und präzise ist, bleibt mir vor allem erinnerlich, dass er die schrecklich einmalige Verkörperung der Nazi-Ideologie auch aus der wurzellosen Boheme des von Unrast und Unlust getriebenen Hitler herleitete: der Blut-und-Boden-Prediger hatte in Wahrheit keinen Boden unter den Füßen.

Gewiss, Fests Leistung erschöpft sich nicht in der epochalen Biografie und in der Herausgeber-Tätigkeit. Der glänzende Stilist war ein Finder, Förderer und Erfinder schreibender Talente, der Horst-Janssen-Freund liebt die Kunst, der Polemiker schrieb 1968 einen "Spiegel"-Essay gegen das damals modische Agitprop-Theater, der sich heute gescheiter liest, als es meine damalige empörte Wut ihm zutraute. Begnügen wir uns hier damit festzustellen, dass Fest bei aller geradlinigen Ausrichtung vielseitig war und wirkte: ein Mann, der meist den kühlen Kopf bewahrte, auch wenn er damit andere zur Weißglut brachte.

Michael Naumann als vielseitig zu bezeichnen, hieße das Wasser als flüssig zu charakterisieren. Er war und ist ein blendender Schreiber mit Witz, Bildung und polemischer Brillanz, wie denn Brillanz einem als erstes zu Naumann einfällt und was ihn zur Repräsentanz prädestiniert.

Er war ein großartiger Verleger in Hamburg und in New York und als er von Kanzler Schröder, zum Bundeskulturminister berufen wurde, ist er sofort zum Preußen in diesem Amt mutiert, der in Berlin die neue kulturelle Mitte der wieder gesamtdeutschen Republik mit Leidenschaft, Chuzpe und Verve beförderte - sodass es keine Geburtstags-Floskel ist, wenn man heute sagt, dass er für Berlin leider zu kurz Minister war.

Dass der gebürtige Köthener eine transatlantische Schulung durchlaufen hat, dass er in New York wie in Hamburg und Berlin zu Hause ist, kommt dem Diskurs hierzulande zugute. Angesichts eines jetzt wieder aufgebrochenen, pietistisch innigen deutschen Antiamerikanismus ist es gut, Naumann an seinem Platz zu wissen.

Hellmuth Karasek

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