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Kultur: Eine Fotoausstellung in der Berliner Galerie Kapinos präsentiert den Spion, der aus dem Computer kam

Ein Treppenhaus Marke DEGEWO, dann ein Hausflur mit grün changierenden Kacheln, einem Fahrrad, Briefkästen, hölzernem Treppengeländer oder auch ein langgestreckter Korridor mit rotem Teppich und einer ganzen Reihe von Türen zu beiden Seiten: Solche Motive, kreisrund im Ausschnitt, sehen mit ihrer verzerrten Fischauge-Perspektive aus, wie durch einen Türspion beobachtet.Doch nein, diese knapp einen Meter großen, auf Fotopapier belichteten Bilder (jeweils 6000 Mark) sind keine Fotos, obgleich eine gewisse Ähnlichkeit durchaus vorhanden ist.

Ein Treppenhaus Marke DEGEWO, dann ein Hausflur mit grün changierenden Kacheln, einem Fahrrad, Briefkästen, hölzernem Treppengeländer oder auch ein langgestreckter Korridor mit rotem Teppich und einer ganzen Reihe von Türen zu beiden Seiten: Solche Motive, kreisrund im Ausschnitt, sehen mit ihrer verzerrten Fischauge-Perspektive aus, wie durch einen Türspion beobachtet.

Doch nein, diese knapp einen Meter großen, auf Fotopapier belichteten Bilder (jeweils 6000 Mark) sind keine Fotos, obgleich eine gewisse Ähnlichkeit durchaus vorhanden ist. Es handelt sich um reine Fiktion, denn die Cibachrom-Abzüge kommen aus dem Computer und sind mit Hilfe eines CAD (Computer Aided Design)-Programms errechnet und gebaut, wie es Designer oder Architekten inzwischen benutzen. Da Martin Dörbaum mit einer französischen 3D-Software gearbeitet hat, nennt er seine synthetischen Bilder "Microviseur", was auf deutsch nichts anderes heißt als Türspion. Zwar sind die Szenerien allesamt Hirngespinste des HdK-Meisterschülers, aber in ihrer Gestalt durchaus gewöhnlich und vertraut. Jene Hotellobby mit der gläsernen Drehtür und dem Schachbrettfußboden oder die gründerzeitlichen Gewölbe irgendeines Behörden- oder Schulflurs mit ihren Kachelwänden und Kugellampen erinnern fatal an schon einmal Gesehenes. Diese Erkenntnis ist durchaus zutreffend, denn was Dörbaum zuerst konstruiert und dann mit Oberflächen und Lichtreflexen versehen hat, speist sich aus seinem Gedächtnis. Auch wenn diese Innenräume also keine exakte Kopie des Realen wiederholen, kommen doch immer wieder Versatzstücke vor, die sich der Wahrnehmung des Wirklichen verdanken. Die changierenden Kacheln beispielsweise könnte man - wie Dörbaum - schon einmal in der U-Bahnlinie 8 gesehen haben. Und auch das Treppenhaus mit der Tür auf jedem Absatz existiert wirklich, nämlich in Dörbaums Erinnerung an das Haus eines Freundes.

Seine Bilder - im Stile realistisch, wenn auch ein bisschen zu glatt und zu perfekt, um mit Fotografie verwechselt zu werden - stehen damit in gewisser Weise der Malerei näher als dem Foto. Wie beim Maler entsteht das Bild nicht als analoges Abbild der Wirklichkeit, als Spur des Lichts, sondern aus der schöpferischen Einbildungskraft des Künstlers heraus. Nur dass Dörbaum eben keinen Pinsel benutzt, sondern den Computer als Arbeitsinstrument. Das hat immerhin den Vorteil, dass alle Elemente des Bild jederzeit veränderbar bleiben.

Doch Dörbaums Szenerien wirken seltsam unheimlich. Der konstruierte Blick durch den Türspion erfasst bei aller Alltäglichkeit der Szenerie etwas Unwirkliches. Mag sein, dass es mit der Natur oder besser: der Unnatur dieser Bilder zusammenhängt. Denn nichts Menschliches findet sich in diesen Räumen, keine Menschen, ja noch nicht mal deren Spuren. Die Standaschenbecher vor dem Paternoster - leer, geradezu klinisch rein, die Bodenfliesen - makellos, als hätte nie ein Mensch sie betreten, der Teppich - ohne jeden Schmutz. Selbst beim Blick durch die Drehtür auf die dahinterliegende Straße fehlen die Passanten, scheint sich nicht einmal ein Lüftchen zu regen: Eine Art von Todesstille lastet auf den Bildern. Nichts ereignet sich, außer dem Blick, der diese leeren Räume durch das Okular des Türspions erfasst, ein Blick, in den der Betrachter der Bilder hineingezwungen wird, so dass ihm immer unheimlicher zumute wird. Wie in einem Science Fiction-Film scheint sich die Erde durch eine unbekannte Macht entvölkert zu haben. Oder ist das alles nur ein Traum, ein Wahnbild? Ja, es ist die Verbrüderung von Illusion und Maschine. Aber konnte man sich bei der Malerei wenigstens noch durch die Spuren der Künstlerhand in der Farbe eines Menschlichen vergewissern, so führen Dörbaums Bilder noch einmal motivisch vor, was den synthetischen Bildern abhanden kommt: Leben.Galerie Kapinos, Gipsstraße 3, bis 8. April; Dienstag bis Freitag 13-19 Uhr, Sonnabend 13-18 Uhr.

Ronald Berg

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