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Kultur: Eine Frage des Muts

Daniel Barenboim stellt in Berlin einen Dokumentarfilm über sein West-Eastern Divan Orchestra vor

Es ist kein Happy End, obwohl es der größte Triumph ist. Sie haben es alle geschafft, Syrer, Libanesen, Israelis, Palästinenser, Spanier: sind nach Ramallah gekommen und haben dort gemeinsam ein Konzert gegeben. Ausgestattet mit spanischen Diplomatenpässen, getrennt über Amman und mit Polizeikonvoi aus Tel Aviv angereist, haben sie sich für wenige Stunden zusammengefunden, um Beethoven zu spielen. Doch dann, kaum ist das Konzert vorbei, heißt es für die Israelis: zurück. Kaum Zeit, sich von den Kollegen zu verabschieden, mit denen sie einen Sommer lang geprobt und konzertiert haben. Keine Zeit auch für Feiern, keine Zeit, sich der besonderen Situation überhaupt bewusst zu werden.

Sicherheitskräfte drängen die Musiker in die bewachten Autos, Tränen laufen den jungen Menschen übers Gesicht, auch Daniel Barenboim selbst steht einigermaßen hilflos im Getümmel, umarmt hier, tröstet da. Zehn Minuten später sieht man nur noch die Schlusslichter des Konvois. Das Konzert in Ramallah im August 2005 war ein erster Schritt. Und einer, der bewusst macht, wie viele mühsame weitere ihm noch folgen müssen. Der Ernst des Augenblicks, der Mut aller Beteiligten hallt nach, auch mehr als ein Jahr später, wenn Daniel Barenboim am Mittwochabend in Berlin den nun vollendeten, mitreißenden Dokumentarfilm über sein West-Eastern Divan Orchestra vorstellt. Das Konzert in Ramallah ist der Schlusspunkt des Films, auch wenn das Orchester weiter existiert und spielt, gerade auch wieder in Berlin.

Sechs Jahre, vom ersten Workshop in Weimar 1999, hat Regisseur Paul Smaczny die Truppe begleitet, zu Probenphasen in Sevilla und Konzerten in Genf und Rabat, Baden-Baden und Berlin. Der Film, in kürzerer Fassung schon einmal 2005 bei arte zu sehen, soll im kommenden Frühjahr ins Kino kommen und ist gerade für die International Emmy Awards nominiert worden, die am 20. November in New York verliehen werden. Eine mit dem diesjährigen EchoKlassik- Preis ausgezeichnete DVD-Version ist bei Warner zu haben („The Ramallah Concert – Knowledge is the beginning“).

Natürlich geht es um Musik: Das West- Eastern Divan Orchestra ist, nach bescheidenen Anfängen, inzwischen zu einem Profi-Orchester herangewachsen, viele Mitglieder spielen in den Nationalorchestern in Kairo, Tel Aviv oder Beirut. Auch das ist faszinierend an dieser Langzeitbeobachtung: die Musiker beim Heranwachsen zu beobachten, zu sehen, wie aus verunsicherten Jugendlichen reife junge Erwachsene werden. Aber natürlich ist das Projekt hochpolitisch, so konfliktbeladen wie alles im Nahen Osten. „Politik ist so ein großer Teil unseres Lebens“, sagt eine junge Palästinenserin. Das vergisst man nicht, auch wenn man gemeinsam musiziert. Und so sind es auch die Diskussionen, die dem Film die eigene Würze geben. Der Versuch der beiden Geiger vom ersten Pult, der eine Libanese, der andere Israeli, gemeinsam vor die Kamera zu treten – der Dialog scheitert: „Wir wollten doch über Musik reden, nicht über Frieden“, sagt der eine, und geht empört. Oder die Diskussionen über die Mauer, die Israel rund um die palästinensischen Gebiete zieht: „Auch das wird Euch nicht absichern“, sagen die Palästinenser. „Weißt du eine andere Lösung?“, entgegnet die junge Israelin.

Natürlich haben die Kids keine Lösung. Auch Daniel Barenboim hat sie nicht, als er 2005 mit einer Rede in der Knesset einen Eklat provoziert. Unter Berufung auf die israelische Unabhängigkeitserklärung plädiert er für friedliche Nachbarschaft zwischen Israelis und Palästinensern. Und auch der 2003 verstorbene palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said, enger Freund Barenboims und Mitbegründer des Orchesters, kann in seiner Dankesrede zum Prinz-von-Asturien-Preis 2002 nur die eigene Ratlosigkeit bekunden.

„Es wird immer schlimmer“, steht als bitteres Fazit einer Palästinenserin am Ende der Langzeitbeobachtung. Ein Konzert in Kairo in diesem Jahr konnte nicht stattfinden, einige Musiker durften wegen des Libanon-Konflikts nicht ausreisen. Am 18. Dezember wird das West-Eastern Divan Orchestra vor den Vereinten Nationen in New York spielen, als Abschied für Kofi Annan. Allein, dass dieses Orchester immer noch besteht, ist ein Wunder. Wie sagt Daniel Barenboim: „Das Unmögliche ist viel leichter als das Schwierige.“

Christina Tilmann

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