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Kultur: Eine neue Zeit der Unschuld

Eine Wärmeoase tut sich auf im winterlichen Berlin; in der Volksbühne, wo Frank Castorf vor kurzem sein "Terrordrom" eröffnete, gastiert das Wuppertaler Tanztheater mit seiner jüngsten Produktion "Masurca Fogo".Nach mehr als zehnjähriger Abstinenz kam das Berliner Publikum nun in den Genuß eines Bausch-Stücks, bei dem man sich am besten einfach zurücklehnt und sich an den sinnlichen Spielen auf der Bühne erfreut - denn "Masurca Fogo" bietet Theater so richtig zum Wohlfühlen.

Von Sandra Luzina

Eine Wärmeoase tut sich auf im winterlichen Berlin; in der Volksbühne, wo Frank Castorf vor kurzem sein "Terrordrom" eröffnete, gastiert das Wuppertaler Tanztheater mit seiner jüngsten Produktion "Masurca Fogo".Nach mehr als zehnjähriger Abstinenz kam das Berliner Publikum nun in den Genuß eines Bausch-Stücks, bei dem man sich am besten einfach zurücklehnt und sich an den sinnlichen Spielen auf der Bühne erfreut - denn "Masurca Fogo" bietet Theater so richtig zum Wohlfühlen.Genau das irritierte, und so mischten sich in den Schlußapplaus einige Buhrufe.

Der Bühnenbildner Peter Pabst hat einen weißen Bühnenkasten entworfen, durch einen Spalt scheinen sich Lavamassen ergossen zu haben, die nun einen steilen Abhang bilden.Ein Tanz auf dem Vulkan, ein überhitzter Taumel im Wissen um die eigene Gefährung, wird nun keineswegs vorgeführt."Masurca Fogo", als Koproduktion mit der EXPO in Lissabon entstanden, ist ein ebenso heiteres wie melancholisches Stück, mit hell funkelndem Witz und liebevoller Ironie, doch auch die Trauer scheint diesmal südlich getönt, eine sanfte Tristesse, die nie bitter, verzweifelt oder verletzend ist, sondern ihre eigene Anmut hat.Die Quälgeister von einst scheinen vertrieben.Wie es bei internationalen Koproduktionen üblich ist, hat die Bausch-Truppe einen Teil der Probenzeit in Portugal verbracht, dabei reiste das Ensemble bis zu den Kapverdischen Inseln vor Westafrika, wo es sich offenkundig an Farben, Klängen und Rhythmen berauscht hat.Von da hat es auch den Titel mitgebracht, denn "Masurca Fogo", die Feuer-Mazurka ist einer dortige Besonderheit.Auch bei der Musikauswahl scheint der Trip in die Ferne seine Spuren hinterlassen zu haben: da finden sich wehmütige portugiesische Fados und vergnügte Weisen aus Cabo Verde, die bei Bausch immer wiederkehrenden Tangos und alte Jazznummern.

Diese Musik ist geradezu eine Auffordung zum Tanz, und was sich in den letzten Produktionen schon angedeutet hat, ist nun manifest.Dem Tanzen wird mit neuer Lust und neuer Intensität gehuldigt.Angetreten war Pina Bausch einst mit dem berühmt-berüchtigen Motto: sie wolle zeigen, was die Menschen bewegt, weniger wie die Menschen sich bewegen."Masurca Fogo" besteht überwiegend aus einer Folge von Solos, die wie Perlen aneinandergereiht werden.Eine kraftvoll-expressive Bewegungssprache ist zu sehen, jeder der vorzüglichen Tänzer wartet mit anderen emotionalen Nuancen auf.Zweimal findet sich das Ensemble zur Mazurka zusammen.Die Paare wiegen sich graziös in den Hüften und halten sich dabei eng umschlungen.Von den früheren Deformationen und verrutschten Haltungen ist nichts mehr zu spüren.

Wenn die zarte Ruth Amarante mit ihrem Madonnenhaar ins Mikrophon stöhnt und atmet, dann bleibt es unentscheidbar, ob es sich um Seufzer der Lust oder Laute des schmerzlichen Sehnens handelt.Auch dieses Stück von Pina Bausch ist den heimlichen Sehnsüchten und unerfüllten Wünschen auf der Spur, doch so mancher Seufzer bleibt diesmal nicht unerhört.Die Frauen werden hier von den Männern manchmal auf Händen getragen, weitergereicht und emporgehoben, so daß sie zu schweben scheinen.Die Tänzerinnen haben keine Angst, sich fallen zu lassen - denn stets sind gleich mehrere Männer zur Stelle, um sie aufzufangen.Von den "armen Frauen" in ihren Stücken wollte Pina Bausch nie etwas wissen, als Galionsfigur weiblicher Emanzipation hat die Choreographin sich nie verstanden.Doch die Geschlechterkämpfe tobten mit nie gekannter Heftigkeit über die Wuppertaler Bühne.Heute führt Pina Bausch südliches Balzverhalten vor, verschiedene Formen weiblicher Koketterie.Doch die Frauen fordern auch ihre Lust ein - und manchmal bekommen sie ihren kleinen Rausch.Die dunkellockigen Schönheiten in ihren geblümten Kleidern (Kostüme: Marion Cito) - als neue Evas defilieren sie über die Bühne, den Apfel lockend in der Hand.Nicht immer gelingt es hier, von den süßen Früchten zu naschen, doch wenn Mann und Frau sich verfehlen oder wie in Panik voreinander fliehen, dann ist das überwiegend komisch.Wenn die Paare sich am Ende zum Einschlafen eng aneinanderschmiegen, dann erhebt sich eine einzelne Frau und stiehlt sich diskret von der Bühne - doch Pina Bausch will festhalten an der Utopie der Liebe.

Eine neue Zeit der Unschuld scheint hier angebrochen.Die Gruppenszenen zeigen vorwiegend kindlich-übermütige Spiele, keine aggressiven Gruppenrituale.Hier macht sich auch bemerkbar, daß das Ensemble sich deutlich verjüngt hat.In diesem Jahr feiert das Wuppertaler Tanztheater sein 25jähriges Bestehen.Dabei kann es nicht nur auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblicken, auch im Jubiläumsjahr zeigt es sich in beeindruckender Form.Doch ein Modell, das sich einfach kopieren ließe (etwa in Berlin, das sich so gern zur Tanzmetropole mit internationaler Ausstrahlung mausern würde), gibt das Ensemble wohl nicht ab.Denn Pina Bausch ist eine Ausnahmekünstlerin, die sich selbst immer treu geblieben ist.Sie hat zudem hart um die Existenz der Truppe kämpfen müssen, auch jetzt ist das Tanztheater Wuppertal noch keine hochbezahlte Truppe.Doch offensichtlich hat Pina Bausch sich günstige Produktionsbedingungen geschaffen.Heute erreichen Angebote aus aller Welt die Truppe, die Koproduktionen und die damit verbundenen Reisen sind wohl wichtige Stimulanzien für die Choreographin und ihr internationales Ensemble.Die Verwurzelung in Wuppertal stellt dazu ein notwendiges Gegengewicht dar.Bemerkenswert ist es schon, wie sich hier eine Bühnen- und Bewegungssprache entwickelt hat, die vom Besonderen und Individuellen ausgeht und von dort ins Universale zielt.Eine Sprache, die offenkundig in aller Welt verstanden wird, wenn auch die Bausch-Ästhetik mit der ihr eigenen Sicht auf menschliche Verhaltensweisen nicht überall mit dem gleichen Enthusiasmus aufgenommen wird.Während andere Protagonisten des Tanztheaters sich in kulturpolitischen Kämpfen aufgerieben haben oder mehr oder minder wütend auf der Stelle treten, entwickelt Pina Bausch ihr Werk in schöner Konsequenz weiter; die Schwierigkeit und Mühsal, aber auch das Glück eines menschlichen Miteinanders - dieses Thema wird immer aufs neue verhandelt, in immer anderen Farben und Facetten dargestellt.

Das Aufbrechen von vorhandenen Formen wurde von ihr mustergültig durchexerziert.Nach einer Phase des radikalen Infrage-Stellens und der Abstinenz von tänzerischer Bewegung hat sich die Wuppertaler Prinzipalin neue Freiheiten und eine neue Gelassenheit erkämpft.Einer jüngeren Choreographengeneration hat sie zweifellos den Weg bereitet, lange war ihr Vorbild geradezu erdrückend.Choreographinnen wie Sasha Waltz knüpfen da, wo sie sich an Realität reiben wollen, an die Bausch an und haben doch zu eigenen Themen und Formen gefunden.Die neue Leichtigkeit des Seins, die sich in "Masurca Fogo" manifestiert, mag eingeschworene Bausch-Anhänger irritieren.Doch Pina Bausch und ihr Ensemble sind nicht in eitler Selbstfeier erstarrt, vom Wuppertaler Tanztheater darf man sich auch weitere Aufbrüche erhoffen.

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