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Eine Scherbenlese: Musste DSO-Chefdirigent Ingo Metzmacher so viel Porzellan zerschlagen?

Er ist weg. Definitiv, muss man wohl sagen. So wie Ingo Metzmacher die Gesellschafter der Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) am Donnerstag brüskiert hat, wird kaum jemand versuchen, den flüchtigen Chefdirigenten des Deutschen Symphonie-Orchesters (DSO) doch noch in Berlin zu halten.

Er verfolgte strategische Zwecke mit seiner Brandrede bei der Präsentation der kommenden DSO-Saison, als er verkündete, seinen bis Sommer 2010 laufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen, weil mit seinem Orchester „verantwortungslos“ umgesprungen werde. Er hoffte, so mehr fürs DSO herausschlagen zu können. Er hat sich verzockt. Direkt vor Ingo Metzmacher saß Ernst Elitz, der scheidende Deutschlandradio-Intendant, der sich seit der Gründung der ROC 1994 stets für das DSO stark gemacht hatte.

Das Tischtuch ist damit zerschnitten. Berlin verliert einen Künstler, der nicht nur spannende Programme erfinden kann, sondern der es auch wie kaum ein zweiter Dirigent versteht, dem Publikum seine Ideen zu vermitteln. Metzmacher war der bestmögliche Nachfolger Kent Naganos, ein Intellektueller, ein wacher Zeitgenosse, der sich dafür interessiert, was außerhalb der Konzertsäle geschieht, der klare Positionen einnimmt und sie vehement verteidigt.

Am Tag eins nach dem Eklat reagieren die Geldgeber der ROC zurückhaltend. Kulturstaatsminister Bernd Neumann will die Sache gar nicht kommentieren, in der Senatskulturverwaltung ist immerhin zu erfahren, dass man Metzmachers Entscheidung bedaure. Gleichzeitig äußert Pressesprecher Torsten Wöhlert Unverständnis, dass der Maestro die Öffentlichkeit gesucht hat: Die Vorschläge zu einer Restrukturierung der ROC würden erstmals am kommenden Montag mit den Gesellschaftern besprochen. Intendant Gernot Rehrl hat bis Juni Zeit, um dem ROC-Kuratorium einen Wirtschaftsplan zur Beschlussfassung vorzulegen. Wenn er klug gewesen wäre, hätte Metzmacher weiter hinter den Kulissen verhandelt. Stattdessen traf er eine einsame, hochemotionale Entscheidung.

Und Metzmachers Musiker? Befinden sich in einem „Schockzustand“, wie es DSO-Orchesterdirektor Alexander Steinbeis formuliert. Was er allerdings nicht erhellen kann, ist die Frage, was das DSO am meisten erschüttert: Dass sie ihres Chefdirigenten verlustig gegangen sind – oder dass ihre schärfste Konkurrenz, das ebenfalls zur ROC gehörende Rundfunk- Sinfonieorchester (RSB) derzeit bei den Gesellschaftern einen besseren Ruf zu genießen scheint. Während sich das DSO zu Beginn der Ära Metzmacher von seiner zickigsten Seite zeigte und den Neuen gleich wieder rausmobben wollte, blühte das RSB unter seinem geschätzten künstlerischen Leiter Chef Marek Janowski weiter auf.

In der Tat hat Janowski seit 2002 das bislang als zweitrangig eingestufte RSB in die champions league geführt. Das Publikum strömt wie nie, die Kritiker staunen, die Tourneeveranstalter reißen sich um Janowskis Truppe. Da schien es der ROC-Leitung nur angemessen, das Ende der Zweiklassengesellschaft innerhalb der Musikholding einzuläuten: Mit der Etataufstockung sollte unter anderem sichergestellt werden, dass dem RSB erstmals genau so viel Geld zur Verfügung steht wie dem Schwesterensemble.

Anstatt es jedoch mit Christoph Schlingensief zu halten und das Scheitern als Chance (also als Ansporn zu Höchstleistungen) zu begreifen – schließlich werden spätestens 2013 die Karten bei der ROC neu gemischt –, zog sich das DSO in den Schmollwinkel zurück. Und erklärte Ingo Metzmacher, man sei gerne bereit, mit ihm weiterhin zusammenzuarbeiten, wenn es ihm gelänge, diese himmelschreiende Gleichbehandlung der beiden Orchester rückgängig zu machen. Nichts anderes steckt hinter der Forderung, alle vakanten Solo-Stellen beim DSO besetzen zu dürfen. Schließlich kann Intendant Gernot Rehrl die sechs Millionen Euro, die er den Gesellschaftern trotz Krisenzeiten aus den Rippen geleiert hat, nur einmal verteilen.

Ein pikantes Detail bei dem Bruderkrieg ist übrigens, dass es das DSO selber war, das einst Marek Janowski in die Arme des RSB getrieben hat: Bei den Festwochen im Herbst 1999 sollte der Maestro mit dem DSO Carl Maria von Webers Oper „Die drei Pintos“ aufführen – die Musiker aber zeigten so wenig Interesse an dem Stück, spielten so „uninspiriert und schlampig“ (wie die Tagesspiegel-Kritik vermerkt), dass Janowski beschloss, nie wieder mit dem DSO aufzutreten.

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