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Kultur: Eine Tagung der Berliner Humboldt-Universität über Meinungen und Haltungen nach 1945 in Ost und West

"Man wollte nicht an den Krieg erinnert werden und konnte doch nicht genug vom ihm kriegen." So lautete bei der Konferenz "Schuld und Sühne?

"Man wollte nicht an den Krieg erinnert werden und konnte doch nicht genug vom ihm kriegen." So lautete bei der Konferenz "Schuld und Sühne?" angesichts der Flut von Kriegsdarstellungen, die bereits 1945 in Deutschland einsetzte, die Bilanz eines Germanisten. Das Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität hatte, sechzig Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen, ins Polnische Kulturinstitut geladen, um zu untersuchen: In welchen Bildern wurde der Krieg verarbeitet? Wie formierten sich Wahrnehmungen, Affekte, Deutungen?

Romane, Dramen, Illustrierten-Stories, Schulbücher und Dokumentationen, Filme, Radio- und Fernseh-Beiträge, eine Fülle von Material, dazu die stets zu bedenkende Ost-West-Teilung: ein unübersichtliches Feld. Dagmar Barnouw von der University of Southern California zielte auf die "Problematik der Schuldfrage". Die Erinnerungsverhältnisse seien bestimmt gewesen durch die Kollektivschuld, die den Deutschen von den USA zugeschrieben und von den deutschen Intellektuellen verinnerlicht wurde. So war die "deutsche Zivilbevölkerung" 1945 ins KZ Buchenwald befohlen und zum "Zwangszeugen der Gräuel" gemacht worden. Der Film "Die Todesmühlen" hält diesen Vorgang fest. Die Kollektivschuld-These verpflichtete die öffentliche Erinnerung dauerhaft auf einen "suprahistorischen Holocaust-Diskurs", der widerspruchsfreie Geltung beansprucht und zensierend auf "unpassende" private Erinnerungen wirke. Die Unmöglichkeit, "Unterschiede" zum vorgeschriebenen Diskurs zu artikulieren, erkläre auch die "notorische Unfähigkeit zur Trauer" der Deutschen. "Es nicht gewusst zu haben" heiße auch, es "so", wie gefordert, nicht gewusst zu haben. Barnouw möchte die Vergangenheit indes als "eine immer neu zu Suchende" begreifen: Sie unterstützt den vermeintlichen "Tabu-Bruch" von Walser, kritisiert die Trivialisierungen des Holocaust-Business in den USA und ebenso die Rechtfertigung des Kosovo-Krieges nach dem Holocaust-Muster: absolute Unschuld der Opfer, absolute Schuld der Täter, somit absolut gerechtfertigter Krieg.

Eine Großraum-These, die wohl eher die aktuelle politisch korrekte Ordnung der Diskurse in den USA trifft als die Gemengelage der deutschen Kriegsdarstellungen. Zwar weist schon deren schiere Materialfülle auf ein Schwanken zwischen der obsessiven Beschäftigung mit dem Thema einerseits und seiner Verdrängung andererseits hin. Nicht das Diktat des Schuld-Diskurses war jedoch wirksam bei dieser Entwicklung, sondern die Freund-Feind-Logik des Kalten Krieges, durch welche die Kollektivschuld-These außer Kraft gesetzt wurde. "Die Todesmühlen" und "Nürnberg und seine Lehre" wurden schon 1946/47 abgesetzt. Der Kalte Krieg bestimmte fortan das Kriegsbild in Romanen, Illustrierten und Schulbüchern: rot = braun im Westen, die Fortschreibung des faschistischen und imperialistischen Bedrohungsszenarios im Osten. So stehen westdeutsche Kriegsromane - so Jost Hermand von der University of Wisconsin - überwiegend im Zeichen des Antikommunismus, selten in dem des Antifaschismus oder Pazifismus. Typisch sind der Kreuzzugsroman, in dem Europa von einem Orwell-Kommunismus befreit wird, der Gefangenen-Roman ("Der Arzt von Stalingrad") über sowjetische Schikanen, oder der Vertriebenen-Roman mit den Deutschen als den wahren Kriegsopfern. "Ernsthafte" Autoren wie Böll ("Wo warst Du Adam?") oder Gregor ("Die Brücke") bedienen sich der Episoden-Technik und kommen nicht zu einer "Gesamt-Durchdringung". Remarques Roman "Zeit zu leben und Zeit zu sterben" gar kann in der Bundesrepublik nur umgearbeitet erscheinen: Der Kommunist Immermann, der die Lehren aus dem Krieg formuliert, wird zum Sozialdemokraten umgedichtet.

Im West-Kino der fünfziger Jahre hatte ein spezieller "Anti"-Kriegsfilm-Typ Konjunktur. Hier wird der Krieg, wie Knut Hickethier von der Universität Hamburg beschrieb, als männliche Bewährung inszeniert, als sinnloses Verhängnis, das man durchhalten muss. Fernsehspiele hingegen, die in den 60er Jahren einsetzen, klagen eben dieses Wertesystem an und üben Mitleid als mentale Haltung ein. Die Reihe "Am grünen Strand der Spree" (1960) mit 12 Millionen Zuschauern thematisiert sogar erstmals die "Erschießung polnischer Juden" durch die SS. Das DDR-Fernsehen wiederum war bis 1958 eine kaum kontrollierte Nische. Die Dramaturgie der dort produzierten Kriegsstücke zielt auf eine zugespitzte Entscheidungssituation: "Widerstand oder Gehorsam", "Faschismus oder Antifaschismus", "Kapitalismus oder Sozialismus". Doch wenn der Film nicht in die richtige politische Entscheidung mündet, die Desertation nicht in die Auffindung des Klassenstandpunkts, ist Ärger vorprogrammiert. Thomas Heimann vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam hat einen DEFA-Fall rekonstruiert. Harry Thürks Roman "Die Stunde der toten Augen" (1958) über Fallschirmjäger, die gegen die Rote Armee operieren, war ein DDR-Bestseller. Seine Verfilmung indes scheiterte nach langen Querelen am Kultur-Oberen Alfred Kurella: Der Roman stelle das "falsche Heldentum" einer "faschistischen Eliteeinheit" heraus, während die Rotarmisten "unheldisch" blieben.

Ein anderes Bild bietet die Nachkriegsdramatik, die Ralf Trinks von der Freien Universität Berlin an rund 300 bis 1949 erschienenen Dramen untersucht hat. Besonders Heimkehrer-Stücke entfalten die "Schuldfrage" und viele Entlastungsstrategien: es gibt den Schlussstrich der ersten Stunde, gewonnen aus der direkten Konfrontation mit Schuld; die offensive Abwehr; den "schuldlos Schuldbeladenen", überwältigt vom Schicksal; die "Abwälzung" der Verantwortung auf Hitler und die ältere Generation; den Wiederaufbau als Sühne oder das Märtyrer-Modell, wobei der Held mit dem eigenen Leben zahlt und seine Nation damit rehabilitiert: "Seht, auch solche Kerle hat es in jenem verruchten Land gegeben, muss man dereinst sagen können."

Wie bei den Kriegen der neunziger Jahre Befürworter und Gegner um die Aktualisierung der Kriegsbilder im kollektiven Gedächtnis kämpften, zeigte Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Die Bedeutung von Auschwitz ändere sich: Stand es früher für das "Nie wieder!", bezeichne es nun die deutsche Exklusivität. Der im Namen von Auschwitz geführte Kosovo-Krieg habe der "Reinigung von deutscher Schuld" gedient, Flüchtlings-Trecks auf dem Balkan weckten Erinnerungen an "die Vertreibungen", ihre Verteidigung wurde zum Akt symbolischer Wiedergutmachung. Bilder von Bombardements hingegen waren mit der Vorstellung vom "guten Krieg" schwer zur Deckung zu bringen. Wenn Bomben fallen, ist die deutsche Perspektive immer noch "von unten": Der mentale Umstieg ins Cockpit wurde bislang nicht vollzogen.

Gerwin Klinger

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