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Kultur: Eine Welt aus Gittern und Lachen

Die Fotos von Mahmoud Dabdoub zeigen das Leben in palästinensischen Flüchtlingslagern

Gleich vorab: das Hotel heißt eigentlich „Bogota“, war aber in der Nazizeit jenes Haus, in dem Goebbels rechte Hand (im wahrsten Sinne des Wortes) seines Amtes waltete. Hans Hinkel hieß der Mann, in seiner Funktion als Vizepräsident der Reichskulturkammer, in der jeder „arische“ Künstler Mitglied sein musste, stieg er neben Goebbels zum „wichtig sten“ Verwalter NS-gesteuerter Kunst auf. Wie kommt nun ein Moslem in Goebbels Hotel? Weil die heutigen Pächter dieses geschichtsträchtigen Hauses, Familie Rissmann, wissen, was gut für ihre Galerie ist, die sich „Fotoplatz“ nennt.

Die Fotos von Mahmoud Dabdoub, so heißt der moslemische Meisterfotograf, wären unter Hinkel & Co. damals bestimmt nicht aufgehängt worden – höchstens der Künstler. Und der war noch nicht einmal Jude. So’n Pech. Noch nicht einmal geboren war er. Das geschah erst 1951. In einem Keller in Baalbek, in den palästinensischen Flüchtlingslagern. 1981 kam Dabdoub in die DDR. Heute lebt er mit seiner Familie in Leipzig.

Weit entfernt vom journalistischen Sensationsfoto erwarten die Besucher des Fotoraums im Hotel Bogota keine erschossenen Dorfbewohner oder offene Wunden in Nahaufnahme. Dieser Mann arbeitet weder für die Tagesschau noch für CNN. Zwischen Tod und Verzweiflung blüht bei Monsieur Dabdoub die Blume der Poesie, einer bitteren Poesie. Vielleicht werden Sie, lieber Besucher, ein paar Aufnahmen nicht mehr so schnell vergessen. Mein Liebling ist das kleine Mädchen, das sich in ihrem wahrscheinlich einzigen Ausgehkleidchen zeigt – und doch nicht zeigt. Sie hält sich nämlich die Zeichnung eines kindlichen Köpfchens vor ihr Gesicht, als wollte sie sagen: „Bin ich nicht schön?“ Das Nichtgezeigte erzeugt ja in den besten Fällen poetischen Zauber. Die besten Fotos von Dabdoub lassen ahnen, was nicht direkt eingefangen wurde.

Ich liebe es, Fotos zu beschreiben, die Sie vielleicht nie sehen werden. So’n Pech. Dann werden Sie auch nie den alten Mann inmitten seines Elends betrachten können. Würdevoll sitzt er zwischen Pappkartons, von denen einer wenigstens einen Namen hat: 7 Up. Ist die 7 nicht die Glückszahl der Juden? Aber auch für andere Semiten liegt die Heimat nicht selten in der Bewegung. So schwebt ein Koffer von Eltern, die wir nicht kennen lernen werden, über einem kleinen dunklen Baby. Das Fenster neben dem Kinderwagen ist vergittert. Um noch einmal auf den alten Mann neben der 7 Up-Kiste zurückzukommen, der da so namenlos in eine silbrige Schale greift: Vielleicht isst er Oliven. Einst besaß er einen großen Olivenhain. Weil er Absperrungen nicht mochte, pflanzte er Kakteen als einen natürlichen Zaun, damit jeder im Vorübergehen an seine Oliven herankommen konnte. Sein Geschäft blühte, er hatte genug für alle. Nun sitzt er selbst eingezäunt da.

Der alte Mann war Mahmoud Dabdoubs Großvater. Gewiss, der Fotograf hat mir diese Geschichte erzählt, aber man benötigt kein „Wissen“, weder politisch noch privat, um das Werk auf sich wirken zu lassen. Vielleicht, weil dieser Künstler nicht künstlich mit Wirkungen spielt. Die verdorrte Rose in der Hand des kleinen Mädchens (noch’n Foto), blüht auch so in uns hinein. Das Mädchen lächelt. Überhaupt sieht man zwischen Wänden mit Einschusslöchern immer wieder das Lächeln von Kindern und Greisen. Manchmal. Die Frauen am Wassercontainer haben keine Zeit, um zu lächeln. Das Wasser spritzt aus den Schläuchen. Das ist kein Spaß. Es gibt nur zwei Wasserverteilungsstellen in Baalbek. Noch heute. Mahmoud Dabdoub weiß, wovon er nicht erzählt.

Er zeigt einfach nur Menschen. Lachende, weinende aber auch wütende. Weil zwischen dem Elend die Wut prächtig gedeiht (noch’n Foto). Der halbwüchsige Junge, der sich vor einem Graffito fotografieren lässt, würde wohl lieber heut’ als morgen in das Wandgemälde springen und zu dem Vermummten mit der Waffe sagen: „Komm, wir machen das zusammen.“ Dabdoub war ein Ghettokind. Seine Waffe ist heute die Kamera. Er „schießt“ im Namen der Liebe. Bilder, die Hinkel nie sah. Wir wissen noch nicht einmal, ob der entnazifizierte Obernazi, der hochbetagt in Kassel seine Beamtenpension verbrauchte, auch mal im Hotel Bogota war. Wir wissen aber, was Helmut Newton, der internationale Starfotograf, 2002 über das Hotel Bogota sagte: „Sie schlafen in heiligen Räumen.“

Bestimmt meinte er damit nicht die Wirkungsstätte von Hinkel & Co.,sondern das Fotoatelier von Yva in der 4. Etage, dem Ort, wo Klein-Helmut einst lernte, ein Newton zu werden. Er war Yvas Azubi. Die Nazis haben die damalige Topfotografin ermordet. Helmut Newton hat überlebt. Mahmoud Dabdoub hat das Ghetto von Baalbek überlebt. Seine Eltern leben noch immer dort. Die Menschen, die dieser Fotograf zeigt, haben in nicht seltenen Fällen Augen wie aus 1001 Nacht. Nur die Kulisse stimmt nicht. Schauen Sie sich das an! Es muss nicht immer Newton sein.

Die Ausstellung „Wie fern ist Palästina?“ mit Fotos von Dabdoub wird am 29. März um 19 Uhr 30 im Hotel Bogota, Schlüterstr. 45, eröffnet und ist dort bis zum 30. April zu sehen. Der Künstler ist anwesend, der Schauspieler und Autor Ilja Richter präsentiert den gleichnamigen Bildband (Passage Verlag, Leipzig, 160 S., 19,80€).

Ilja Richter

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