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Symbol von Macht und Reichtum. Einst lag Herat an der Seidenstraße. Die Burg ist eine der größten in Zentralasien. Foto: akg-images

© akg-images / Gerard Degeorge

Kultur: Eine Zitadelle für den Frieden

Neues afghanisches Nationalsymbol: die mit internationaler Hilfe restaurierten Altertümer von Herat

Majestätisch blaugrün leuchtet das Kenotaph in den Katakomben der Zitadelle. Vor wenigen Monaten haben die Archäologen den Bruchstücken der reich dekorierten Fliesen ihr Geheimnis entlocken können – sie gehören zu einem Scheingrab aus dem Jahr 1378. Jetzt ist es eines der Schmuckstücke des ersten Museums, das in einer afghanischen Provinz wieder eröffnet wurde, in Herat, im Westen Afghanistans. Einst wurde die Handelsstadt an der Seidenstraße als Florenz Asiens gepriesen. Scheingräber enthalten keine sterblichen Überreste, sie sind Denkmäler in der islamischen Kultur, dienen der Erinnerung.

Weit, weit zurück in die Geschichte des Landes können die Besucher in diesem einzigartigen Ambiente reisen. In den Bogengängen mit hellen Ziegeln hat Ute Franke, Vizechefin des Museums für Islamische Kunst in Berlin, mit ihrem Team 250 Objekte für die Eröffnung aufbereitet, frische Ausgrabungen zumeist. Bis ins 3. Jahrtausend vor Christus reichen die ausgestellten Funde. Um einige haben die Museumsmacher kämpfen müssen. Stücke aus Herat tauchten vor zehn Jahren auf dem Kunstmarkt auf. Nicht nur das Museum in Dubai hat dabei Wertvolles erworben. Dem timuridischen Grabstein des Miniaturenmalers Behzad fehlt unten eine Ecke, dort war sein Name in den schwarzen Stein gemeißelt. Iranische Räuber haben sie herausgebrochen, als er noch nicht gesichert war, und nach Täbris gebracht; die Stadt sieht sich auch als Geburtsort Behzads, sagt ein Mitarbeiter.

Stolz führt Ute Franke die Honoratioren durch die Ausstellung und wacht wie eine Mutter darüber, dass die Kameraleute sich nicht zu nah an die Vitrinen drängen. Auch wenn sie heute nur andeutet, wie schwer die Zeit vor der Eröffnung war. Vor ein paar Tagen war sie drauf und dran abzureisen, und das nach neun Jahren Arbeit in Herat. Die Stadtoberen hatten just ein neues Zugangssystem zum Depot ersonnen. Statt eines älteren Herrn mit Riesenschlüsselbund müssen nun sechs Herrschaften anwesend sein, bevor die Tür zu den Ausstellungsstücken sich öffnet. Es soll wohl der Sicherheit dienen – für Ute Franke war es eine völlig unnötige Änderung der eingespielten Wege, die zeitraubende Prozedur stellte die Fertigstellung der Arbeit in Frage.

Einen weiteren Dämpfer gab es aus dem eigenen Land. Die für Kultur zuständige Staatsministerin Cornelia Pieper sagte ihren Besuch ab. Aus logistischen Gründen, hieß es. Zu hören ist, die geforderte Anzahl gepanzerter Wagen für die FDP-Politikerin habe außerhalb des deutschen Kommandobereichs nicht zur Verfügung gestellt werden können. Anschließend sagte der Abteilungsleiter aus dem Ministerium wegen Haushaltsgesprächen in Berlin ab. Am Ende kam nicht einmal der deutsche Botschafter aus Kabul, er hatte Bundespräsident Christian Wulff zu Gast. Dessen Besuch verdrängte das Museum dann auch in den Nachrichten. Dabei sind positive, friedliche Geschichten aus Afghanistan so wichtig wie selten. Die Restaurierung der Zitadelle von Herat ist eine solche Erfolgsgeschichte.

Etwas Bitterkeit schwingt in Herat am Sonntag bei dem bereits mehrfach verschobenen Eröffnungstermin mit, betont doch der Westen seit einiger Zeit, wie wichtig gerade die Zusammenarbeit in Kultur und Bildung sei. Die sandfarbene Zitadelle mit ihren 18 Türmen überragt die Stadt, sie soll bis auf die Zeit Alexanders des Großen zurückgehen und gilt als eine der bedeutendsten in Zentralasien. Ein paar hundert Gäste sind, massiv bewacht, in die malerisch in der Sonne liegende Trutzburg gekommen. Seit Jahren waren Festung und Museum geschlossen. Der amerikanische Botschafter Ryan Crocker lobt, ebenso wie der deutsche Kulturbeauftragte Bertram Dierkes-Leifeld, das wertvolle historische Erbe, auf das die Afghanen stolz sein dürften. Die USA und Deutschland haben das Doppelprojekt mit je rund 1,3 Millionen Dollar unterstützt, es ist das größte Einzelprojekt aus dem Botschafterfonds der USA. Beide betonen, dass die Zusammenarbeit langfristig über den geplanten Abzug der internationalen Kampftruppen im Jahre 2014 hinaus Bestand haben soll.

Doch nicht nur Lob ist im Innenhof zu hören, wo sich die Gäste versammelt haben. Ajmal Maiwandi von der Aga-KhanStiftung für Kultur, der die Restaurierung ausgeführt hat, spricht sehr ruhig, und doch klingt er traurig, ja wütend, als er die afghanischen Freunde mahnt, ihr Erbe nicht durch planlose Stadtentwicklung und unstrukturierten Zuzug zu verspielen: „Für das Neue muss das Alte nicht geopfert werden.“ Wer von den hohen Festungsmauern herabschaut, weiß, was Maiwandi meint: Obwohl in der Altstadt von Herat nur Lehm und Holz als Baustoffe erlaubt sind, stechen Betonhäuser ins Auge, die sich wohlhabende Bürger dort leisten.

Mit der Eröffnung hat das afghanische Ministerium für Information und Kultur die Verantwortung für die Schätze des Museums übernommen. Der Vertreter des Provinzrates nutzt die Gelegenheit, seinen Minister zu ermahnen, dass neben der Zitadelle viele weitere historische Gebäude zu erhalten seien. Zudem müssten die Kunsthandwerker unterstützt werden. Sollten sie gehen, werde das historische Erbe verschwinden.

Die Amerikaner, die Aga-Khan-Stiftung und die Deutschen haben weitere Kulturprojekte geplant. Dazu zählt ein Ausbildungsprogramm für afghanische Archäologen, Restauratoren und Kuratoren in Kabul und Herat. Anders als in den vergangenen Jahren sollen die Afghanen in Zukunft aber seltener ins Ausland reisen, vielmehr sollen ausländische Experten nach Afghanistan kommen. Die Verantwortlichen haben festgestellt, dass es zwar für das Selbstwertgefühl der Afghanen gut ist, zu reisen und Kontakte zu knüpfen, aber wenn sie zurück sind, fangen die Probleme an. Hier haben sie oft nicht einmal die Chemikalien, die sie zur Restaurierung anderswo kennengelernt haben. Außerdem reisen meist immer dieselben: die, deren Englisch gut ist. Fachleute zu finden, die nach Afghanistan kommen, ist allerdings nicht so einfach. Für das neue Programm soll sich die Universität Chicago interessieren.

Laura Tedesco, oberste US-Verantwortliche für die Unterstützung der Afghanen bei der Rettung ihres Kulturerbes, will sich den Optimismus aber nicht nehmen lassen: „Es mag alles nicht sehr organisiert aussehen, aber es ist ein afghanisches System. Und es wird funktionieren“, sagt die Expertin, die ab November im State Department in Washington diesen Bereich betreuen wird. In ihren Augen ist die Zitadelle von Herat weit mehr als eine Festung: „Nach dem kulturellen Genozid mit der Zerstörung der Buddhas von Bamian und dem Nationalmuseum in Kabul 2001 könnte die wiedererstandene Zitadelle zum neuen nationalen Symbol werden.“ Die Festung könnte so bedeutend sein wie ehedem die Zwillingstürme von New York, mit einem hoffentlich besseren Schicksal. Was da mitschwingt, ist die ganze Zwiespältigkeit: dass Symbole auch Angriffsziele sind.

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