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Kultur: Einer kommt durch

Vom proletarischen Stolz: Der Schauspieler Manfred Krug wird heute 70

Dass die DDR es schwer haben würde mit ihm, war abzusehen. Elfmal musste der Sohn eines Eisenhütteningenieurs aus Duisburg die Schule wechseln und hatte schon vorher die beiden katholischen Nonnen seines Kindergartens bis zum Gotteszweifel geärgert. Alle Kinder spielen die Spiele ihrer Zeit – für einen 1937 Geborenen wie ihn war „Verdunklung“ ein höchst zeitgemäßes Spiel. Und die Idee, die Kindergartenfenster zuzukneten, stammte eindeutig von ihm. Wir wissen das so genau, weil Manfred Krug vor vier Jahren den Bericht seiner Kinderjahre vorgelegt hat – „Mein schönes Leben“ ist auch ein literarisches Ereignis. Seit „Abgehauen“ (1996), dem Bericht seiner Ausreise aus der DDR, hatte man es geahnt: Schreiben kann er also auch.

„Mein schönes Leben“ endet mit Krugs Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule in (Ost-)Berlin. Die Dozentin fragte: Sie stammen aus Duisburg. Können Sie mit dem Namen Espey etwas anfangen? Jawohl, antwortete Manfred Krug, Ernst Espey, Möbelspedition Duisburg. Die Prüfungskommission war beeindruckt. Der gelernte Stahlschmelzer war aufgenommen. Natürlich musste Krug auch die Schauspielschule wieder verlassen, wegen „disziplinarischer Schwierigkeiten“, nur die Hochöfen schienen ihm offenbar gewachsen. Heute wird Manfred Krug siebzig Jahre alt.

Wenn einer immer nur sich selbst spielt, gilt das nicht unbedingt als Merkmal schauspielerischer Begabung. Es sei denn, der Selbstdarsteller ist ein Star. Krug entschied sich für diese im sozialistischen Filmschaffen eigentlich nicht vorgesehene Variante. Manfred Krug wurde Manfred Krug, und spätestens mit „Auf der Sonnenseite“, 1962, fing er damit an, die Sonnenseite nie mehr zu verlassen.

Was macht ein Star, den noch kein Mensch kennt, in seinem allerersten größeren Film? Er erzählt seine eigene Lebensgeschichte. Der Held „auf der Sonnenseite“ kommt wie Krug selbst aus dem Stahlschmelzerwesen, arbeitet wie er selbst einst im Stahl- und Walzwerk, wird wie er selbst aus der Staatlichen Schauspielschule hinausgeworfen, singt genauso gut wie er – nicht diese Sechziger-Jahre-Schlager, sondern mit einer sanften jazzigen Revolution in der Stimme. Der Krug-Ton war da. Dieses Großmäulige, gezähmt durch Charme. Ein proletarischer Held gewiss, aber eigentlich ein Selfmademan, einer mit bedenklich anarchistischen Zügen. Einer, der notfalls eher für sich allein als für die Klasse steht. Einer, der sich vor allem sich selbst verdankt.

Und nun, da einmal geklärt war, wer Krug ist, konnte er auch all die anderen spielen – „Helden des antifaschistischen Kampfes“ und kommunistische Bürgermeister („Wege übers Land“, „Die Verschworenen“), anarchistische Zimmerleute („Spur der Steine“, 1966), alle möglichen Arbeiter und Bauern. Und blieb doch immer Krug – allen ein wenig überlegen. Ein Volksheld, die persongewordene Antwort auf die Frage: Wie komme ich durch den Sozialismus? Das musste er nun auch, denn Krug befand sich beim Mauerbau gerade im Westen – und war in die DDR zurückgekehrt. Er mochte wohl ihren Traum, ist nun mal ein handfester, proletarischer Typus und so „ein Arbeiter-und-Bauern-Staat“ war schon ein nicht ganz uninteressantes Projekt.

Die DDR erkannte, dass Krug wie kein anderer das Lebensgefühl der jungen Generation der DDR verkörperte. Er ist ein Antimetaphysiker, und die brauchte man in der DDR wie die Luft zum Atmen: In „Beschreibung eines Sommers“ (1963) ging es um Bewusstsein und Beton im Sommer. „Wir bauen hier den Sozialismus auf!“, sagt FDJ-Funktionärin Grit zu Jungingenieur Thomas Breitsprecher (sic!). Und der antwortet: „Wir bauen hier erst mal ein Chemiewerk.“

Vielleicht war es viel mehr noch als Biermanns Ausreise Krugs Weggang aus der DDR, von dem sie sich nie erholt hat. Denn Biermann kannte fast keiner, Krug kannten alle. Ob dem Politbüro jemals klar geworden ist, dass sie den Hauptschauspieler des Landes ausgerechnet an den proletarischen Stolz verloren hat? Es liegt eine gewisse Tragikomik darin, denn letztlich war die ganze DDR nichts anderes als ein Projekt des proletarischen Stolzes. Der Unterzeichner der Resolution gegen Biermanns Ausbürgerung, den man plötzlich weder singen noch spielen ließ, war es sich schuldig zu gehen. Die Art seiner Ausreise passte zu ihm: nicht leise, nur mit einem Koffer. Er zelebrierte die Ausreise als Staatsakt. Die ersten Ankunftsfernsehbilder zeigten ihn mit Tränen in den Augen – nicht vor Freude, vor Trauer und Wut.

Aber was sollte der Oberarbeiter und Oberbauer Krug im Westen spielen? Arbeiter und Bauern gab es da nicht mehr so viele, zumindest nicht auf der Leinwand. Mit kommunistischen Bürgermeistern sah es auch schlecht aus. Also wurde Krug Fernfahrer – 48 Folgen „Auf Achse“ als Franz Meersdonk. Und bald ergriff er auch den Hauptberuf des neuen Landes. Er wurde Anwalt, aber dank seines Freundes Jurek Becker (Drehbuch!) dort, wo es fast gar keine Anwälte gibt: in Kreuzberg. Später wurde er noch Kommissar und dann wieder Sänger. Und Autor eben. Krug, vielleicht der einzige wirklich deutsch-deutsche Schauspieler, blieb in jedem Wechsel doch immer unverkennbar er selbst. M. K., die Initialen trug er schon als Kind riesengroß auf jedem Pullover, den ihm seine Mutter strickte.

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