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Die Wellen des Materials. El Anatsuis Installation „In the World But Don’t Know the World“.

© Maximilian Geuter/Haus der Kunst

Einer von Afrikas Größten: Das Gedächtnis der Tropen

El Anatsui aus Ghana gehört zu den größten Künstlern Afrikas. Im Münchner Haus der Kunst präsentiert er eine fantastische Werkschau.

Wer als bekannt gilt, ist deswegen noch nicht unbedingt berühmt. Aber manchmal passiert es auch umgekehrt: Ruhm bedeutet noch nicht, wirklich gekannt oder erkannt zu sein. Der 1944 in Ghana geborene Künstler El Anatsui hat bei der Biennale in Venedig 2015 den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhalten, und sein jüngster Beitrag zum Ghana-Auftritt im venezianischen Arsenale wird in den Berichten zur aktuellen Biennale bewundernd erwähnt. El Anatsui hatte Retrospektiven in Nordamerika oder England, auch an der Fassade der Berliner Alten Nationalgalerie hing von ihm 2010 schon eine Art schimmernder Wandteppich. Trotzdem ist das Werk des wohl größten lebenden Skulpturisten aus Afrika in Europa noch immer neu zu entdecken.

Gerade hat El Anatsui die gut hundert Meter lange Säulenfassade des Münchner Hauses der Kunst im Stil fast eines Christo verkleidet. Mit keinem Vorhang freilich, sondern mit 22 monumentalen schwarzweißen, miteinander verschweißten Tafeln aus gepressten, geschichteten Offsetdruckplatten. Sie zeigen die Spuren von alten Zeitungsartikeln. Es ist, als würde das Gutenbergzeitalter in der Ära der elektronischen Aufhebung hier noch im doppelten Wortsinne aufgehoben werden. Als Erinnerung oder Mahnung – ein gewaltiges Werk, das sich als Pompeji der Presse lesen lässt. Es heißt denn auch „Second Wave“ und ist bei diesem afrikanischen Meister der Farben bewusst schwarz und weiß.

Drinnen bespielt der seit 1975 überwiegend in Nigeria lebende und Kunst lehrende El Anatsui dann die zwölf riesigen Säle des Hauses allein – mit seiner Ausstellung „Triumphant Scale“, die auf der Skala der triumphalen Ereignisse dieses Kunstfrühjahrs tatsächlich ganz oben steht. Der nigerianische Kurator Okwui Enwezor hat, bevor er vor einem Jahr als Direktor des Hauses der Kunst in München aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste, „Triumphant Scale“ noch mit konzipiert. Ebenso wie jetzt den ghanaischen Pavillon in Venedig. Nach Enwezors Tod im März aber ist die Münchner Schau als bisher weltweit umfassendste Anatsui-Ausstellung auch zu Enwezors Erbe geworden.

Sonderbare Echsen tanzen

Wie fast immer präsentiert El Anatsui seine Exponate in akribischer Abstimmung auf den jeweiligen Ort. Dabei ergibt sich, nicht nur im Titel, ein Spiel auch mit der Geschichte. Indem El Anatsui mit seinen meist riesigen, die Wände und Räume dominierenden Objekten auf die Monumentalität des in Hitlers Auftrag erbauten Münchner Hauses so souverän wie maßstabsgenau reagiert, entstellt er den Ausstellungsort zur erneuten Kenntlichkeit. Kaum je wirkte die leer gelassene Eingangshalle pathetisch pompöser. Und die zwölf Oberlichtsäle sind anders als bei unzähligen anderen Ausstellungen nicht durch Stellwände und Zwischenkabinette so gegliedert worden, dass sie in ihren Details und Dimensionen ablenken von der unbehaglichen faschistischen Architektur.

Nein, El Anatsui macht sich und seine Werke nicht klein vor dem einstigen Größenwahn, der seinesgleichen als Künstler einst so wenig wie als Menschen gewürdigt hätte. Den Veranstaltern der berüchtigten Schau „Entartete Kunst“ 1937 unweit im Hofgarten galten afrikanische Skulpturen ausdrücklich als Machwerke nur von „Primitiven“, die den „Entarteten“ auch noch zur Anregung gedient hatten.

Das Tolle ist nun: El Anatsuis charakteristische Wandbehänge, die wie bunt schillernde, enorm große Textilien wirken, sie scheinen in ihren immer neuen Wellen, Raffungen, Ausspreizungen zu schweben. Und zu leben. Manchmal stehen, hocken, liegen sie auch nur wie sonderbare Urwesen mitten im Raum, und man glaubt, gleich werden sie sich weiter vom Boden erheben und loskriechen wie urzeitliche Riesenechsen. Oder tanzen wie fragile, grazile Riesen. Den zentralen Längssaal der Ausstellung füllen (und öffnen) sie gar in Form von geschwungenen, aneinandergereihten transparenten Käfigen oder Netzen. Zwischen ihnen können sich die Besucher wie durch ein poröses Labyrinth bewegen.

Abfall wird zur Kunst

Die Installation heißt „Logoligi Logarithm“ (von 2009). Wie alle vermeintlichen Stoff-Werke besteht aber auch dieses aus Werkstoffen. Aus feinst bearbeiteten, gepressten, geschnittenen und neu verformten Metallpartikeln, die wie organische, textile Materialien miteinander verwoben sind. „Logoligi“ ergibt in der ghanaischen Sprache Ga einen lautmalerischen Verweis auf sich schlängelnde Linien, kann aber auch, wie die Kuratorenkollegen von Enwezor, Chika Okeke-Agulu und Damian Lentini, erläutern, „existenzielle Unsicherheit und Orientierungslosigkeit“ bedeuten. Auf „Logarithm“ wiederum spielen die lochstreifenartigen Muster an, während einzelne bunte Metallstreifen hier im Netz an gefangene Schmetterlinge erinnern. Ein Spiel von animierendem Reiz.

Mal golden, mal blutrot, dann auch in erdbraunen Tönen leuchten in schier unendlichen Variationen die oft über zehn Meter breiten und sechs, sieben Meter hohen Wand-Installationen. Das vermeintliche Gewebe, das die Leichtigkeit von Christos Kunststoffen zu besitzen scheint, täuscht im ersten Eindruck selbst Kenner. Denn die zumeist aus den 2000er Jahren stammenden Werke sind eine Synthese von zigtausend plattgepressten Kronkorken oder metallenen Flaschenhalsstreifen, die in El Anatsuis nigerianischer Werkstatt von seinen Helfern mit Kupferdraht verbunden werden. Viele Färbungen ergeben sich dabei schon ohne Bemalung aus den unterschiedlichen Signets der ehemaligen Bier- oder Schnapsflaschenverschlüsse. Manchmal erkennt man beim Nähertreten, ähnlich wie auf Ölsardinendosen, noch die malerisch fantasievolle Werbung: weiße Seeleute etwa und wilde Schwarze auf alten Rumbotteln.

Das Monumentale wird schwerelos

Es ist so die künstlerische Weiterverarbeitung von zivilisatorischem, oft kolonialistischem Erbe. Der Kommentar dazu entsteht dann im Kopf des Betrachters. Zumal es auch darum geht: um Abfall und Müll. In Afrika suchen sonst Kinder der Ärmsten nach (giftigen, scharfkantigen) Metallresten auf den Deponien. El Anatsuis Arbeiten verschaffen stattdessen besser bezahlte, humanere Arbeit, verleihen dem Materialienkreislauf neuen Sinn.

In einer Abteilung mit früheren Werken sieht man, wie ökonomisch und ökologisch Anatsui seine Kunst aus den Stoffen der Natur oder des Alltags entwickelt. Keramiken machte er ab den 1970er Jahren aus vorgefundenen Tonscherben, schafft aus Bruch wieder Zusammenhalt. Holzplastiken, als Reliefs oder säulenartige Skulpturen, ergeben kalligraphische Elemente, spiegeln Jahresringe, sind Wunden und „Wundermasken“, sie brennen oder kerben der verwandelten Natur ihr tropisches Gedächtnis ein. Eine kunstvoll natürliche Poesie.

Vor allem aber triumphiert El Anatsui mit seiner grandiosen Grazie. Er verwandelt das Monumentale in Schwerelosigkeit, macht aus Müll neues Gold. Das hat den Zauber eines Alchimisten der Moderne. So öffnet Anatsui wie nebenbei auch dem aktuellen europäisch-afrikanischen Diskurs eine weitere Dimension.

Info: Bis 28. Juli im Münchner Haus der Kunst (täglich 10 - 20 Uhr, Do bis 22 Uhr).

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