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Kultur: Einmal der Held sein

Der stille Star des Festivals: Devid Striesow spielt in beiden deutschen Wettbewerbsfilmen mit

Ob er nicht auch einmal eine Heldenrolle spielen wolle, war die Frage: so eine helle, heißblütige, idealistische Rolle, wie sein drei Jahre jüngerer Schauspielkollege August Diehl sie regelmäßig bekommt – auch jetzt wieder, in Stefan Ruzowitzkys KZ-Drama „Die Fälscher“, das heute im Wettbewerb läuft. Und Devid Striesow gibt ganz empört zurück: „Ich habe doch den Marquis Posa gespielt, 2004 am Hamburger Schauspielhaus.“ Regie führte der Franzose Laurent Chétouane, es war ein wortlastiger, bilderarmer, gedankenreicher Abend. Den Don Carlos spielte: August Diehl.

Wer also jetzt, der Infant Don Carlos oder der Marquis Posa, wer ist bei Schiller der Held? Carlos, der leidenschaftlich liebende Romantiker, der für seine private Liebe zur Königin alles, sein Leben, sein Land, seinen Thron zu opfern bereit ist, oder der im Hintergrund taktierende, planende Politkopf Posa, der Pragmatiker, der um das Wohl der ganzen Welt auch seine private Freundschaft aufgeben würde? Oder anders: Was ist schwieriger, den Geraden, Unverbiegbaren zu spielen, der eher bricht, als dass er Kompromisse macht – oder den komplexen Charakter, bei dem nicht sicher ist, ist er jetzt gut oder böse?

In Ruzowitzkys Film „Die Fälscher“, nach einer wahren Geschichte, spielt August Diehl den Adolf Burger, auf dessen Erinnerungen der Film beruht: einen idealistischen Drucker und Widerständler, der 1944 in der Fälscherwerkstatt im Konzentrationslager Sachsenhausen landet. Während der „Cheffälscher“ Smolianoff (Karl Markovics) bereit ist, um des Überlebens willen alles zu tun, was die Nazis verlangen, widerspricht Burger und plädiert für Sabotage: lieber hingerichtet werden als den Krieg der Nazis durch Devisenfälschung auch nur um einen Tag zu verlängern. Ein Idealist: eine typische Diehl-Rolle. Devid Striesow jedoch spielt den ehemaligen Polizeikommissar Friedrich Herzog, der als Obersturmbannführer im KZ für die Fälscherwerkstatt verantwortlich ist.

Eine zwielichtige Figur: halb Überzeugungstäter, halb Profiteur, mal väterlicher Freund, mal eiskalter Mörder. Noch auf dem Weg zum Set-Besuch hätten sich die beiden noch lebenden Zeitzeugen, der 90-jährige Adolf Burger und sein Mithäftling, heftig über die Rolle des Friedrich Herzog gestritten, erzählt Devid Striesow fasziniert: Hat er ihnen das Leben gerettet – von 170 aus der Fälscherwerkstatt kamen nur sechs um – oder war er doch ein Mörder? Diese Ambivalenz hat ihn an der Rolle besonders gereizt, so Striesow. Den Idealisten überlässt er anderen.

Die Rolle eines Nazis: Das kann auch ein Fluch sein für einen jungen deutschen Schauspieler, zumal wenn er groß gewachsen, blond und blauäugig ist. August Diehl hat die Seiten gewechselt, vom SS-Offizier in Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“ zum KZ-Häftling in „Die Fälscher“. Auch Devid Striesow hat schon seine Erfahrungen mit dem Rollenbild gemacht. Hat Hitlers Hundeführer gespielt, in „Der Untergang“, und einen fanatischen Sportlehrer in Dennis Gansels „Napola“. Und jetzt gerade, nach „Die Fälscher“, eine ähnliche Rolle abgelehnt, obwohl der Stoff ihn gereizt hätte, es ging um Euthanasie: „Aber mein Bedarf war durch ,Die Fälscher’ gedeckt, und es wäre schade, ab jetzt immer als Prototyp besetzt zu werden.“ Bei „Die Fälscher“ hatte er ein konkretes Vorbild, ein Buch, das er als Zwölfjähriger verschlungen hat: Bruno Apitz’ „Nackt unter Wölfen“. „Auch dort gab es einen ähnlichen Typ, einen Mörder, der gleichzeitig sehr larmoyant durch seine Gewissenskonflikte geht. So einen Typen wollte ich auch immer mal spielen.“

Die Gebrochenen, die Larmoyanten, die Unsicheren: Das sind Rollen, die Devid Striesow liegen. Keine Hauptrollen zumeist, keine Eindeutigkeiten, keine Helden. Sondern Nebenrollen, die sich in der Erinnerung dann als tragend erweisen. Da mag man viel vergessen haben, von den komplexen Beziehungskonstellationen in Hans-Christian Schmids Nachwendefilm „Lichter“ – den Matratzenhändler Ingo mit seinen dicken Brillengläsern und dem unerschütterlichen Glauben, dass „heute ein guter Tag“ sei, auch wenn ihm die Konkursverwalter gerade den Laden leer geräumt haben, vergisst man nicht. Und erwartet, in einem Café am Prenzlauer Berg jemand zu treffen, der mindestens so norddeutsch, so schweigsam und verschlossen auftritt wie in jenen Rollen, die Striesow bei inzwischen fast allen Regisseuren der jüngeren Zeit gespielt hat, bei Angela Schanelec und Ulrich Köhler, bei Christoph Hochhäusler und Stefan Krohmer, und jetzt in Christian Petzolds „Yella“, dem zweiten deutschen Beitrag im Berlinale-Wettbewerb. Wenn es ein Gesicht der „Berliner Schule“ gibt, jemand, der so still und langsam, undurchdringlich und enigmatisch ist wie diese Filme, dann dieser Striesow, der irgendwie immer schon dagewesen ist, im Film, im Fernsehen und im Theater, nur hat man es nie richtig gemerkt.

Und dann sitzt der heimliche Star am Wochenende vor Berlinale-Start ganz entspannt da, das Gesicht leicht gerötet, immer wieder in unbändiges Lachen ausbrechend, etwas Quecksilbrig-Unbeständiges, beständig Wandelbares im Blick – und redet ohne Punkt und Komma. Von Schiller und Don Carlos, von der Arbeit mit Regisseur Jürgen Gosch am Düsseldorfer Schauspielhaus, über seine Schulzeit in der DDR und, natürlich über die Zusammenarbeit mit Christian Petzold. Der 2005 mit „Gespenster“ im Wettbewerb vertretene Regisseur erzählt in „Yella“ nun eine Ost-West-Geschichte der besonderen Art, von jemand, der den Osten hinter sich lässt und nach Westen geht. Devid Striesow spielt den smarten Broker, der Unternehmen aufkauft und wieder verkauft und bei aller modernen Effizienz sein eigenes, privates Kalkül verfolgt. Einen gläsernen Menschen in einer kalten, gläsernen Welt, einen Intriganten, keinen Idealisten, und dann kommt ihm auch noch die Liebe in Gestalt von Nina Hoss dazwischen.

Am Schluss ist es wieder keine Hauptrolle gewesen – die spielt eindeutig Nina Hoss –, aber es hätte eine sein können. „Es gibt halt nur eine Hauptrolle, und das ist besser eine Frau“, sagt Striesow. Es klingt nicht, als bereue er das besonders tief.

LEBEN

Geboren 1973 in Bergen auf Rügen. Schauspielstudium bis 1999 an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin.

THEATER

Für seine Rolle in Jürgen Goschs Inszenierung von Gorkis „Sommergästen“ erhielt Striesow 2004 den Alfred-KerrDarstellerpreis auf dem Berliner Theatertreffen. In Goschs gefeierter „Macbeth“-Inszenierung aus Düsseldorf spielte er Lady Macbeth .

FILM

Kalt ist der Abendhauch (Rainer Kaufmann, 2000), Bungalow (Ulrich Köhler, 2002), Lichter (Hans-Christian Schmid, 2003), Marseille (Angela Schanelec, 2004), Montag kommen die Fenster (Ulrich Köhler, 2006) Eden (Michael Hofmann, 2006). Seit 2005 spielt er im TV den Assistenten von Bella Block .

Christina Tilmann

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