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Kultur: Einmal Orient und zurück

Die Staatlichen Museen und das Kunsthistorische Institut Florenz untersuchen kulturelle Wanderungen durch Raum und Zeit

Als 2008 das Museum für Islamische Kunst im arabischen Doha eröffnet wurde, gab es eine einmalige Zusammenkunft zu bestaunen. Aus dem toskanischen Pisa war der berühmte bronzene Greif ausgeliehen worden, ein geflügeltes Fabelwesen, das aus dem maurischen Spanien stammen soll, tatsächlich aber iranischer Herkunft ist und, damals kaum 100 Jahre alt, 1063 von den Pisanern beim Sieg über die Sarazenen erbeutet wurde. Ihm gegenüber ein der Art nach ähnlicher Löwe, den ein chinesischer Privatsammler sein eigen nennt. Das rätselhafte Objekt ist kein simpler Wasserspeier, sondern ein wasserbetriebener Geräuschautomat, wie ihn später arabische Gelehrte des 13. Jahrhunderts beschreiben. Beide Bronzen zählen zu den ältesten nachantiken Gussfiguren.

Wohin „gehören“ Greif und Löwe? Viel herumgekommen sind sie, und sie wären geeignet als Objekte eines Forschungsvorhabens mit dem Titel „Art, Space, and Mobility in Early Ages of Globalization: The Mediterranean, Central Asia, and the Indian Subcontinent, 400-1650“. Das Projekt ist seit 2009 in Arbeit, am Kunsthistorischen Institut Florenz, einem Zweiginstitut der Max-Planck-Gesellschaft. Finanziert wird es von der Getty-Stiftung im fernen Los Angeles. Es geht um die Wanderung von Werken aus Kunst und Kunsthandwerk durch Raum und Zeit, verbunden mit einem Wandel ihrer Aussage und Bedeutung. Kurzum, es geht um Globalisierung – das Modethema unserer Zeit.

Der Begriff taugt zu vielem; zur Erklärung, zur Rechtfertigung oder zur Verschleierung. Vor allem suggeriert er eine neuartige Entwicklung. Globalisierung indessen, verstanden als Interaktion von Staaten, Gesellschaften, Kulturen über geografische Trennlinien hinweg, seien sie Meer, Gebirge oder Wüste – diese Globalisierung gibt es, so lange es eine geschichtliche Zeit gibt. Man denke nur an die seit der Antike benutzte Seidenstraße zwischen Mittelmeerraum und Fernem Osten, um einen zumindest transnationalen und transkulturellen Austausch über große Zeiträume vor Augen zu haben.

Aber auch, wenn Globalisierung nicht lediglich als Austausch, sondern etwas genauer als Vermischung von Einflüssen zu etwas Hybridem verstanden wird, handelt es sich um ein altes Phänomen. Eher ist es so, dass die Herausbildung der modernen Wissenschaften zu einer Verengung des Blickfeldes geführt hat, so dass, parallel zum Erstarken des auf Abgrenzung bedachten Nationalismus im 19. Jahrhundert, die Betrachtung des Eigenen und die Bestimmung einer eigenen Identität in den Vordergrund traten.

Das gilt zumal für die in hohem Maße identitätsstiftende Kunstgeschichte. Sie ist in Europa entstanden und hat das abendländische Verständnis von Geschichte als einer Entwicklung hin zu einem Telos, einem Ziel, in die Wiege gelegt bekommen. Die Beschränkung auf Europa – mit der geduldeten Ausnahme fernöstlicher Hochkulturen, denen allein eine Entwicklungsgeschichte der Kunst zugebilligt wurde – hat sie lange Zeit blind gemacht für die Wechselbeziehungen, die Europa mit anderen Kulturräumen unterhalten hat. Wie sehr die geografisch verankerte Aufteilung in „Kunst“ und „Ethnografie“ weiterhin Bestand hat, verraten die Berliner Pläne, neben der dem Abendland vorbehaltenen Museumsinsel ein Humboldt-Forum für „außereuropäische“ Kulturen einzurichten. Was eben bedeutet, die tradierte Abgrenzung der Sammlungsgebiete fortzuführen.

Gerade unter diesem Aspekt gewinnt ein zweites Vorhaben Bedeutung, das das Kunsthistorische Institut Florenz gemeinsam mit den Staatlichen Museen Berlin durchführt. „Connecting Art Histories in the Museum: The Mediterranean and Asia, 400-1650“ lautet der Titel, der die Verschränkung der beiden Kulturräume ankündigt. In den Berliner Museen, die in ihrer Gesamtheit eines der wenigen Universalmuseen der Welt bilden, lassen sich zahlreiche Objekte identifizieren, die in ihrer Form, Materialität und Aussage eine solche Verschränkung verkörpern.

Derzeit beteiligen sich die Museen für Islamische sowie für Asiatische Kunst und die Kunstbibliothek an dem von dem Florentiner Institutsdirektor Gerhard Wolf und seiner Kollegin Hannah Baader initiierten Vorhaben. Es ermöglicht den Stipendiaten die Forschung am Objekt sowie den unmittelbaren Austausch mit den Wissenschaftlern der Museumssammlungen. Forciert wird der interdisziplinäre Austausch in einem „Ideenlabor“.

Insbesondere Nachwuchswissenschaftler sollen mit neuen Fragestellungen an Objekte wie die berühmte Mschatta-Fassade aus dem Islamischen Museum, die Fresken der Turfan-Höhlen aus dem Museum für Asiatische Kunst sowie die kunsthistorischen Bestände der Kunstbibliothek herantreten. Vom „Dialog westlicher, byzantinischer, islamischer und asiatischer Kunstgeschichte“ ist die Rede, wobei die Aufteilung der Gegenstandsbereiche selbst zum Problem wird. Wem „gehört“ ein Objekt – nicht im juristischen oder geografischen Begriff, sondern im Sinne der Fragen, denen es sich öffnet, und damit des Wissenschaftsbereichs, in dessen Zuständigkeit es fällt.

„Die Museen bemühen sich sehr darum, dass die kunstwissenschaftliche Forschung wieder stärker an und mit den Objekten stattfindet“, sagt der aufseiten der Staatlichen Museen koordinierende Bernd Ebert: „Neben dem Stipendienprogramm mit dem KHI Florenz planen wir deshalb ein Promotionsprogramm an der Freien Universität Berlin unter dem Titel ‚Material Culture and Object Studies’.“

Amanda Phillips beschäftigt sich mit einer kostbar verzierten Flasche, auf der elf Reiter und ein Polospieler um das Rund des bauchigen Flacons galoppieren. „Diese Flasche“, so Philipps, „wurde um 1300 in Syrien oder Ägypten gefertigt, bestellt von einem Herrscher im fernen Jemen, der schöne Gegenstände aus dem östlichen Mittelmeerraum schätzte.“

Ebenso wandern Themen und Motive . Friederike Weis untersucht „Rezeption und Interpretation von Geschichten biblischen Ursprungs in der islamischen Buchmalerei“. Manche biblische Geschichten waren in der islamischen Welt geläufig und theologisch akzeptiert. Eine türkische Handschrift des 16. Jahrhunderts, die Weis untersucht, zeigt Moses und Mohammed im Gespräch. Den Faltprospekt der Staatlichen Museen zu dem Kooperationsprojekt ziert ein Detail der bemalten Wandtäfelungen des Berliner Aleppo- Zimmers, eines Hauptstücks des Islamischen Museums, das die Komplexität des Austauschs deutlich macht. Der Zimmerschmuck von Aleppo stammt aus dem Haus eines christlichen Syrers, der einen persischen Künstler beschäftigte: Er malt die Abendmahlsszene, mit Figuren in orientalischer Tracht und Heiligenschein.

„Wir wollen in Berlin die Sammlungstopografie neu zusammensetzen“, erläutert Gerhard Wolf vom Florentiner Institut sein Erkenntnisinteresse: „Wie gehen wir mit dem Patrimonium dieser großen Universalmuseen künftig um, in Berlin, London, Paris ?“ Es gehe nicht um „politische Antworten, sondern um kritische Reflexion der Dynamik des Sammelns“.

Der Streit um Rückgabeforderungen historischer Museumsstücke berührt Wolf nicht. Die Fassade des 744 errichteten Wüstenschlosses Mschatta beispielsweise, deren Fundort im heutigen Jordanien liegt und die in Berlin künftig in vollem Umfang aufgestellt werden soll, könne – bemerkt Bernd Ebert von den Berliner Museen – schon deshalb nicht an ihren Herkunftsort zurückgeführt werden, weil sie ein Geschenk des damaligen Souveräns, des osmanischen Sultans war.

Wenn Wolf vom „Patrimonium der Universalmuseen“ spricht, drängt sich die Frage nach Auswirkungen der Forschungsprojekte auf die Konzeption des Humboldt-Forums auf. Bislang hat es den Anschein, dass die für das wiedererrichtete Schloss bestimmten Institutionen ihre Arbeit unverändert fortzusetzen gedenken. Das heißt vor allem, dass die fachlichen „Zuständigkeiten“ ins Humboldt-Forum übernommen würden. Ist diese Aufteilung noch sinnvoll, wenn sich eine fließende und hybride Form von Kultur, eben ein beständiger Kulturwandel, als Muster herausstellt? Wolf hat ein weiteres Beispiel parat: das Taj Mahal im nordindischen Agra. Die in Einlegearbeit gestalteten Pflanzenornamente an dem marmornen Grabmal gehen auf europäische Stiche zurück. Die Mogulkaiser, so Wolf, schufen sich eine Tradition als Fiktion. Sie beziehen sich auf die Mongolen, daher ihr Name, ziehen jedoch Künstler von überallher heran oder lassen, wie am Taj Mahal, einheimische Künstler nach fremden Vorbildern arbeiten. Darin ähneln sie den Normannen in Sizilien, die ein halbes Jahrtausend zuvor eine gleichermaßen hybride Kultur schufen, um ihre Fremdherrschaft über eine heterogene Bevölkerung abzusichern.

Womit wieder der Pisaner Bronzegreif in den Blick kommt, der, im Mittleren Orient geschaffen, in den Mittelmeerraum und nach Sizilien gelangte, um schließlich in Pisa jahrhundertelang am Dachgiebel des Domes seinen Dienst zu versehen – bis er, 2008 zu Besuch im Emirat Qatar, mit einem mittlerweile in China beheimateten Gegenstück zusammentrifft. Das ist die Globalisierung von heute. Ihre Vorgeschichte allerdings reicht so weit zurück wie die Kulturen, die an ihr teilhaben.

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