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Im Nahkrampf. Samuel Finzi und Andreas Leupold, die zwei Seelen eines hoffnungslosen Säufers. Foto: Joachim Fieguth

© Joachim Fieguth

Ekel-Bühne: Leber, Berliner Art

Auf ex: „Der Trinker“ nach Hans Fallada im Maxim Gorki Theater erzählt eine böse Geschichte mit primitiven Mitteln

Ungefähr nach einer Stunde kommt der Trick mit den Kotzschläuchen. Die Schauspieler Andreas Leupold und Samuel Finzi sitzen in schwarzen Anzügen an der Bühnenrampe. Bisher haben sie eigentlich nichts anderes getan, als den Roman „Der Trinker“ von Hans Fallada nachzuerzählen, abwechselnd und mit bescheidenem Körpereinsatz, während neben ihnen der Musiker Steve Binetti melancholische Trinkerballaden auf seiner Gitarre zupft und dazu semiphilosophische Texte ins Mikro nuschelt.

In dem Roman, den Fallada 1944 während einer Haftstrafe innerhalb zweier rauschhafter Wochen niederschrieb, geht es um den Fall des Erwin Sommer, der mit Magda verheiratet ist und ein Geschäft führt, bis er das Saufen beginnt und sein Leben den Bach runtergeht. Äußerlich: Trennung, Bankrott, Heilanstalt. Innerlich: Angstzustände und euphorischer Rausch. Kontrollverlust, Gewaltausbrüche, Halluzinationen, Delirium tremens. Die absolute Hölle. Leupold und Finzi erzählen diese traurige, aber simple Geschichte simpel nach, und manchmal, wenn Finzi den Grad seiner Verzweiflung zeigen will, strampelt er um sich und versteift den Rücken wie ein wütendes Kind, das sich kurz vor dem epileptischen Anfall befindet.

Dann kommt der Trick mit den Kotzschläuchen. Plötzlich schießt den beiden Schauspielern eine beige, mit vielen Bröckchen versehene und übel riechende Masse aus den Mündern. Sieht natürlich nur so aus. Der Kotzstrahl kommt in Wirklichkeit aus Gummischläuchen, die sich die beiden an die Wangen pressen und dazu herzergreifend würgen. Die schicken Anzüge sehen schnell scheiße aus. Apropos: Manchmal ist der Strahl auch blutrot, manchmal sogar bräunlich. Kommt alles aus den Mündern geschossen. Minutenlang.

Da fällt uns ein, was der Regisseur dieser Szene sich vor kurzem im Interview mit einem Stadtmagazin vom Publikum gewünscht hat: Das Publikum solle „offen“ in die „Erlebniswelt“ seiner Inszenierungen eintreten. Der Regisseur heißt Sebastian Hartmann, momentan Intendant in Leipzig, davor auch mal Regisseur an der Berliner Volksbühne, wo er den Ruf wegbekam, ein Castorf-Epigone zu sein. Genau dieser Ruf nervt Hartmann natürlich, und deshalb fordert er, man solle bei seinen Arbeiten nicht an Schubladen und Castorf denken, sondern offen sein.

Kein Problem. Wir mussten bei der Szene sowieso nicht an Castorf denken, sondern nur an Erbrochenes, das fäkalisch aussieht und nach Babybrei riecht. Stimmt nicht ganz. Uns fiel was ganz anderes ein.

Bekanntlich verlässt Armin Petras das Gorki 2013 Richtung Stuttgart, und für seine Nachfolge ist unter anderen wohl auch Sebastian Hartmann im Gespräch, dessen Vertrag in Leipzig im nächsten Jahr ebenfalls ausläuft. Verweist diese Szene möglicherweise darauf, wie Hartmann die Vorstellung findet, nach Berlin zurückzukehren, wo er so scharf kritisiert wurde? Nein, nein, weg mit den Gedanken – wir wollen uns den unschuldigen Blick nicht vom Kulturpolitischen eintrüben lassen. Im Moment wischen sich Finzi und Leupold übrigens gerade den Brei ins Haar und füllen ihn sich in die Taschen ihrer Jacketts, während Steve Binetti noch immer zupft und auf der leeren Bühne hinter den dreien eine riesige Windmaschine darauf wartet, angeschmissen zu werden, um den Geruch und ein paar Bröckchen Richtung Publikum zu befördern.

Vorher passiert aber noch etwas anderes: Andreas Leupold hat plötzlich eine violett schimmernde Masse in der Hand, die er Samuel Finzi dort an den Körper klatscht, wo die Leber zu vermuten ist. Dann reißt er ihm die Leber wieder raus und haut seine Zähne in den Glibber.

Wahnsinn. Wir sitzen und schauen so offen wie möglich, versuchen mit aller Kraft einzutreten, können bei diesem rührend hilflosen Versuch, die Qual einer Alkoholsucht eins zu eins dem Publikum empört vor die Füße zu sülzen, nirgends die Tür zu irgendeinem Erlebnisraum finden. Da rauscht plötzlich die Windmaschine los, seltsame Comicmücken jagen über einen Vorhang, werden abgelöst von hysterischen Libellen, die Frauenköpfe tragen. Die Maschine gibt, was sie kann, und bläst den Vorhang bis über die Köpfe der Zuschauer – und reißt uns nebenbei aus der ungläubigen Starre der reinen Anschauung. Plötzlich ist der Kontext wieder da. Überall abgewandte, angeekelte oder einfach gelangweilte Gesichter. „Das ist Körperverletzung“, ruft eine Frau, als es wieder still ist.

Lieber Herr Kultursenator Klaus Wowereit, lieber Kulturstaatssekretär André Schmitz, sputen Sie sich bitte mit der Entscheidung zur Petras-Nachfolge. Armin Petras ist zwar offiziell noch am Haus, aber offenbar längst von Bord gegangen. Würde er seinen Job noch ernst nehmen, hätte er diesen Schmarrn abgesagt.

Wieder am 7. und 23. 2.

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