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Kultur: "El Medina": Aufbruch nach Paris

Bestechende Vorstellung: nicht im Erinnern, sondern durch Vergessen zu sich selbst zu finden. Durch einen Blackout, ohne mühevolles Gründeln.

Bestechende Vorstellung: nicht im Erinnern, sondern durch Vergessen zu sich selbst zu finden. Durch einen Blackout, ohne mühevolles Gründeln. Doch ganz so einfach macht es der ägyptische Regisseur Yousry Nasrallah seinem jungen Protagonisten Ali nun auch wieder nicht. Zuvor schickt er ihn durch die Alltagshölle der 16-Millionen-Stadt Kairo. Verfolgt ihn mit der digitalen Videokamera durchs enge Marktviertel Rod-El-Farag, wo sich Alis Eltern als Gemüsehändler über Wasser halten. Ali arbeitet als Buchhalter für eine Metzgerei und wünscht sich eine Karriere als Schauspieler, um dem Mittelmaß zu entfliehen. Dann könnte er die Welt umarmen und sich neu erfinden.

Alis Freunde hadern mit ähnlichen Problemen. Eingeschnürt im Korsett aus familiären Hierarchien und traditionellen Denkmodellen versuchen sie, freier zu leben - als Schwuler, als Frau, als Künstler. Ali wird sich für die Flucht nach vorn entscheiden und sein Glück in Paris suchen. Ironie des Schicksals, dass er dort in einer vergleichbar tristen Gegend landet. Eingepfercht zwischen illegalen Emigranten, verdingt er sich als Schwarzarbeiter, boxt sich durch manipulierte Schaukämpfe und fühlt sich immer mehr wie ein Statist im falschen Film. Auch diese Stadt hält ihr Glücksversprechen nicht.

"Moderne Städte gleichen sich, und die Beziehung zu ihnen wird durch das bestimmt, was man in sich selbst hat", lautet der belehrende Tenor in Nasrallahs drittem Spielfilm, der voller Anspielungen auf überkommene ägyptische Lebensweisen steckt. Sein Held wird wie ein wilder Stier in einem letzten "ehrlichen" Kampf um sich schlagen und, halbtot geprügelt, erinnerungslos in einer Klinik erwachen. Dann ist Zeit für Rückkehr und kompromisslose Grenzüberschreitung - Ali fängt an, sich selbst zu begreifen.

Christina Moles Kaupp

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