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Kultur: Ende der Zumutung

Punk-Kobold: Nigel Kennedy in der Philharmonie

Zu berichten wäre davon, dass dieser Abend mit Nigel Kennedy und dem Polish Chamber Orchestra ausverkauft ist, dass das dünne Programmheft zehn Euro kosten soll, dass zwei Violinkonzerte gespielt werden, von Mozart, von Beethoven, dass das Orchester im Frack auftritt, Kennedy hingegen Springerstiefel trägt und eine Kutte mit abgeschnittenem rechten Ärmel und um die Hüfte einen Stoffgürtel, dessen Enden zerfetzt herunterhängen. Ein Punk-Kobold, so kommt er auf die Bühne, feixt und fäustelt mit dem Konzertmeister, grüßt mit Victory-Zeichen lässig lächelnd in den Saal hinein, fiedelt dann zum Aufwärmen den Anfang der Bachschen Partita E-Dur, ein bisschen gehetzt, erst allmählich zur Ruhe kommend. Schon hier wird es andächtig still im großen Saal der Philharmonie.

Zu reden wäre daher auch davon, dass dieses Publikum noch willens ist und in der Lage, zu träumen, in einem zweiten Beethoven-Satz etwa, der ohne Rücksicht gegen die interpretatorischen Zeitläufte gegeben wird – tief versunken, ja, verloren, mit Mut zu Rubati, zu großem Ton und naturbelassener Musikalität. Oder man müsste davon erzählen, dass in den Mozart-Sätzen unverfrorenerweise nicht traditionelle Kadenzen klingen, sondern neukomponierte Auszeiten für Geige und Orchester, die nach Nebel und Eso-Meditation tönen, so ähnlich wie Heinz „Fleisch ist mein Gemüse“ Strunk, wenn er von nachdenklichen Momenten auf polnischen Ackerböden erzählt. Kennedy fällt danach ins normal-orchestrale Geschehen zurück wie ein kniewippender André Rieu. Anders gesagt: Adorno hätte dieser Abend nicht gefallen. Ist Klassik in ihrer gewöhnlichen Form eine solche Zumutung? „Innigkeit aus zweiter Hand,“, hätte Adorno womöglich gesagt. Vielleicht aber auch nicht. Wenn man alles durchdacht und besprochen hat, bleibt nämlich übrig, dass Kennedy noch immer sehr gut spielt, flink, mit hellem, strahlenden Ton. Auch wenn seine Solisten-Kollegen, gar der eigene Konzertmeister vermutlich exakter geigen würden, mit reicheren Farben, nicht ständig eilen und die höherlagigen Töne stets ohne Kiekser spielen. Aber ob sie könnten, was Kennedy kann? Nach einem Programmheft fragen, um zu erfahren, was als Nächstes kommt? Echt punkig-koboldhaft sein, und zugleich die Kontrolle über die eigene Wirkung nicht verlieren? Den Spagat also zwischen Hochkultur und Breitenpublikum schaffen, ohne Verrat? Das alles kann Kennedy. Und dafür gibt sich ihm der Saal hin. So etwas muss das ganz normale Konzertwesen erst einmal schaffen.

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