zum Hauptinhalt

Kultur: Endlich wieder Rostauto fahren!

Razorlight sind die neuen Helden des Britrock. Auch wenn ihr Sänger weiße Stretchjeans trägt

Man konnte die Pupillen in den Augen von Eddie Argos sehen und die geschwollene Ader am Hals. Das dunkle Haar klebte ihm feucht in der Stirn, als er schrie: „Razorlight! Top of the Pops! Razorlight! Top of the Pops!“ Nach seinem irren Auftritt im Hamburger Freihafen bereitete der Sänger von „Art Brut“ das Publikum euphorisch auf die nächste Band vor: Razorlight. Und steigerte sich dabei in ein Riesengebrüll rein. Was ist das für eine Band, die der Gospel-Freak unter den Underground-Heiligen so in den Himmel lobt?

Razorlight sind so etwas wie die Hysterie der Stunde. Bei der Berliner British Music Week im Mai wurden sie noch als hoffnungsvolle Nachwuchsband verkauft, als die neuen The X, die neuen The Y. Die erste Razorlight-Platte „Up All Night“ (2004) ging in Deutschland so gut wie unter, während sie in England bejubelt wurde. Das zweite Album „Razorlight“ allerdings schwimmt nun auch bei uns ganz oben wie ein unzerstörbares Fettauge.

Was interessant ist: Betrachtet man die beiden CD-Cover im Alternative-Regal, würde man nie auf die Idee kommen, dass „Up All Night“ das Debütalbum der Band ist. Während das erste Cover nämlich noch aufwendig gestaltet war, könnte das schwarz-weiße Bandfotomotiv auf „Razorlight“ auch aus dem Kopierladen von der anderen Straßenseite stammen. Die Musik folgt der Form – sie ist roh, schlicht und schön. Sie trödelt oft auf angenehme Weise hinterher. Schämt sich nicht, beherzt dilettantisch und schwärmerisch zu klingen.

Zu Johnny Borrell, dem Sänger. Ein elender Selbstdarsteller von der Sorte des Manic Street Preachers James Dean Bradfield. Man möchte unbedingt vermeiden, ihn zu mögen, aber man mag ihn. Weil niemand sonst seit Freddie Mercury sich getraut hat, weiße Stretchjeans zu tragen, die Männerbeine zu Streichhölzern machen. Weil er Texte schreibt, die so herrlich doof sind, dass jeder sie – ohne das Lied zu kennen – sofort mitsingen kann: „There’s nothing on the TV nothing on the radio that means that much to me ! All my life watching America! All my life there’s panic in America! Oh oh oh, oh! There’s trouble in America.“ Von der CD wirkt so was gezwungen. Aber live ist Johnny Borrell ein ziemlich cooler Hund. Man muss wahrscheinlich die weißen Hosen beim Hören vor Augen haben. Dann nimmt man ihm auch den ewig strapazierten „Baby-ich-will-mit-dir-ineinem-von-der-Durchrostung-bedrohten-Auto-die-Stadt-verlassen“-Topos ab.

Spaß war lange eine unterschätzte Kategorie bei der Einordnung neuer Gitarrenbands. Sie sollten draufhauen und Drogen nehmen, auf Zugaben verzichten und ansonsten möglichst zerzaust sein. Johnny Borrell haut auch drauf, nimmt Drogen (nur so eine Vermutung) und definiert mühelos eine bisher unbekannte Zerzausungsmarke. Doch er versteht es gleichzeitig, sich und seine Band zu inszenieren. Er reißt die Show nicht einfach nur pseudowütend runter, weil das gerade alle so machen. Stattdessen strahlt er, bemüht sich, kämpft sich ab. Razorlight sind so etwas wie die Lichtgestalten eines neuen, fahrigen Roh-Glamours.

Klar, man erzählt sich auch unsympathische Dinge über diese Band. Es stimmt, sie haben ihr Lied „Golden Touch“ an den Autofabrikanten Honda verkauft, der damit einen Werbespot untermalte. (Kommerzieller Mist!) Ja, es stimmt, Borrell hat dereinst behauptet, er sei besser als Bob Dylan. (Mein Gott, ist der geisteskrank?) Ja, es stimmt, er behauptete ebenfalls: „Of course we’re fucking better than the Arctic Monkeys.“ Und gab wenig später unumwunden zu, ein großer Fan zu sein. Egal, soll er quatschen. Wer waren noch mal die Arctic Monkeys?

Believe the hype. Er könnte schnell vorbei sein.

„Razorlight“ (Universal). Am 19. und 20. August bringt der Radiosender Motor FM ein Wochenend-Special der Band.

Esther Kogelboom

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false