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Kultur: Endsieg im Untergang

In den Sechzigern prägte Horten das Gesicht der Warenhäuser in Deutschland.Heute verschwinden die sie mehr und mehr aus den deutschen Innenstädten - aber die Eiermann-Fassade überlebt noch immerVON JAN GYMPELSein Gegenentwurf hat nicht funktioniert, doch mit seiner Analyse des Kapitalismus lag Karl Marx gar nicht so falsch: etwa was den Prozeß der Konzentration von Besitz und damit Macht angeht, der die Vorzüge der Marktwirtschaft nach und nach zu beseitigen und Monopole an die Stelle des Wettbewerbs zu setzen droht.

In den Sechzigern prägte Horten das Gesicht der Warenhäuser in Deutschland.Heute verschwinden die sie mehr und mehr aus den deutschen Innenstädten - aber die Eiermann-Fassade überlebt noch immerVON JAN GYMPELSein Gegenentwurf hat nicht funktioniert, doch mit seiner Analyse des Kapitalismus lag Karl Marx gar nicht so falsch: etwa was den Prozeß der Konzentration von Besitz und damit Macht angeht, der die Vorzüge der Marktwirtschaft nach und nach zu beseitigen und Monopole an die Stelle des Wettbewerbs zu setzen droht.Daß im Zuge dieses Prozesses, der im Bereich der Warenhäuser nach rund hundert Jahren fast seinen Endpunkt erreicht hat, vor einiger Zeit auch Horten seine Eigenständigkeit verlor und bis 1999 ganz verschwunden sein soll, ist ein Thema für den Wirtschaftsteil.Doch 1936 gegründet, war Horten nicht nur die einzige Warenhauskette, die sich in der Nachkriegszeit gegen die schon im 19.Jahrhundert entstandenen Konkurrenten (und Pioniere) Karstadt, Hertie und Kaufhof durchsetzen konnte.Viel wichtiger ist, daß Horten in den sechziger Jahren eine Bedeutung für das Gesicht der Warenhäuser in Deutschland erlangte und damit eineRolle im Stadtbild spielte, die gar nicht unterschätzt werden kann. Noch in den fünfziger Jahren orientierte sich die Kaufhausarchitektur an den Maximen, die bei den ersten Konsumpalästen um die Jahrhundertwende aufgestellt worden waren, hierzulande angeführt von Alfred Messels Berliner Wertheim-Filiale in der Oranienstraße (1893/94) und noch stärker seinem Wertheim-Haus in der Leipziger Straße (1896/97 und bis 1927 viermal erweitert): Transparente, lichtdurchflutete Verkaufsräume waren das Ziel, für das man sich nach 1945 zwar nicht mehr der einst fast obligaten Lichthöfe bediente, aber noch immer weitestgehend verglaste Fassaden - entweder im großflächigen Raster oder in Bandform mit Fenstern - benutzte.Die letzten Vertreter dieser Gestaltung in Berlin sind das ehemalige Deutsche Familienkaufhaus (Defaka) an der Tauentzien- Ecke Rankestraße, 1955 von Paul Schwebes errichtet, zwanzig Jahre später aufgegeben und in Kürze neues "Hugendubel"-Domizil, sowie das etwa zeitgleich entstandene Bilka-Haus in der Weddinger Müllerstraße, über dessen Zukunft seit längerem gerätselt wird. Eigentlich sind es nur die letzten Beispiele, die im Laufe der Zeit nicht durch großflächige Verkleidungen entstellt und in ihrer Fassadenwirkung vollständig verändert wurden.Denn nachdem Egon Eiermann um 1960 für Horten die ersten Warenhäuser entworfen hatte, deren Fassade mit einem wabenähnlichen Alunetz überzogen war, zog die Konkurrenz rasch nach.Statt eines großstädtischen Geschäftshauses mit entsprechender Fassade galt als Warenhausideal nun ein monolithisch wirkender Klotz, in dessen Innerem das moderne Ideal einer artifiziellen, künstlich belüfteten und beleuchteten, von der natürlichen Umgebung vollständig abgeschotteten Welt verwirklicht werden konnte; und dessen Äußeres nur noch rasch identifizierbares, allerorts gleiches Markenzeichen des Konzerns sein sollte, ohne Rücksicht auf bauhistorische Traditionen oder das lokale Umfeld, von dem es sich im Gegenteil grell abheben sollte. So verschwand etwa die geschoßhohe Verglasung des ersten Stockwerks von Karstadt am Hermannplatz hinter grau-braunen Waschbetonplatten, die als ein Erkennungsmerkmal dieses Konzerns ausersehen waren.So wurde Hertie am Blücherplatz, eine klassisch-moderne "Schichttorte", an deren Fassade Fenster- und Brüstungsbänder einander abwechselten, mit weißen Aluplatten und haushohen blauen Lisenen versehen, die die horizontale Gliederung konterkarieren sollten; die Fenster verhängte man mit Jalousien.Nur bei genauem Hinsehen erkennt man auch bei Wertheim an der Schloßstraße, daß sich der Hertie-Hausarchitekt Hans Soll 1951/52 nicht allzu weit von dem Entwurf entfernt hat, den Otto Rudolf Salvisberg schon 1929 geliefert hatte und der wegen der Weltwirtschaftskrise nicht realisiert worden war: Die Fensterbänder sind in den sechziger Jahren ebenso hinter rechtwinklig und senkrecht vor die Fassade gesetzten Alulamellen verschwunden wie die abgerundete, von oben bis unten verglaste Ecke des in den Straßenraum hineinragenden Quertrakts.Die Mode der siebziger Jahre repräsentiert dagegen heute das Warenhaus Held am Walther-Schreiber-Platz, das 1973 von Hertie übernommen und derartig verhübscht worden ist: Die großflächige Verkleidung besteht aus Platten in stumpfem Dunkelbraun und Beige.Markisen und einige ausufernde Rahmen um verbliebene Fensterflächen sind knallorange.Über allem thront ein wulstiges Kranzgesims; kaum jemand käme auf die Idee, daß auch dahinter eine "Schichttorte" steckt, leicht und elegant gestaltet, die Brüstungsbänder einst mit schwarzen und cremefarbenen Glasplatten versehen, 1953 von Schwebes errichtet und bis 1965 von ihm und seinem Kompagnon Schoßberger erweitert. Wie sehr sich Zeitgeschmack und Bauherrenwünsche geändert hatten, zeigt der Umstand, daß die gleichen Architekten 1963/64 ein Haus bauten, das von vornherein ein plumper Klotz mit einer fast völlig von emaillierten Aluplatten zugepflasterten Fassade war: die Neckermann-Filiale in der Wilmersdorfer Straße, die 1977 mit dem gesamten Unternehmen von Karstadt übernommen wurde und Ende dieses Jahres geschlossen werden soll.So sehr en vogue war Eiermanns Horten-Konzept, daß es selbst jenseits der innerdeutschen Grenze eifrig Nachahmer fand.Ob am Leipziger Sachsenplatz oder am Magdeburger Breiten Weg: wo auch immer in den sechziger und frühen siebziger Jahren in der DDR eines der wenigen Warenhäuser entstand, waren es architektonische Epigonen von Horten.Als sich Ulbricht und Co.in den sechziger Jahren rund um den Alexanderplatz ein Hauptstadtzentrum nach allen damals im Westen geltenden Städtebaudogmen bastelten, gehörte dazu natürlich auch ein Warenhaus à la Horten/Eiermann: Der kubische, mit einem weißlackierten, wabenähnlichen Alunetz überzogene Betonklotz ersetzte dabei konsequenterweise das bis dahin genutzte, ehemalige C & A-Gebäude in der Rathausstraße mit seiner Steinfassade und großen, gereihten Fenstern, das abgerissen wurde. Man mag es als Ironie der Geschichte betrachten, daß dieses "Centrum"-Warenhaus inzwischen zu einer Filiale des Horten-Käufers Kaufhof geworden ist.Was den Wiedererkennungswert angeht, ging Eiermanns Konzept durchaus auf: Ob am Essener oder am Hamburger Hauptbahnhof - erblickt man in einer fremden Stadt eine wabenförmige Alunetz-Fassade, liegt man mit seiner Vermutung, daß man dort Horten findet, fast nie falsch.Wenn bald alle Horten- in Kaufhof-Filialen umgewandelt sind, ist diese leichte Identifizierbarkeit dahin.Dann kann man nur noch raten, was einmal wirklich Horten, was Horten-Imitation war.Und manch Unkundiger wird womöglich auch den Kaufhof am Alex für ein einstiges Horten-Haus halten.Im Untergang vollzieht sich somit der Endsieg Hortens (und Egon Eiermanns): Horten gibt es bald nicht mehr.Aber viele Warenhäuser sahen bis zur neuen Luxuswelle à la Galerie Lafayette so aus, als seien sie einmal Horten gewesen.

JAN GYMPEL

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