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Kultur: Energie aus Plastikschläuchen

Echte Entdeckungen sind im Ausstellungsbetrieb rar, wenn auch - wie nun in Bonn zu sehen - möglich.Nach der umstrittenen Schau Klaus Lagerfeldscher Fotokunstversuche präsentiert das Kunstmuseum nun mit Gerhard Hoehme einen Magier der Farbe, dessen Verdienste im internationalen Kunstgeschehen kaum einzuschätzen sind.

Echte Entdeckungen sind im Ausstellungsbetrieb rar, wenn auch - wie nun in Bonn zu sehen - möglich.Nach der umstrittenen Schau Klaus Lagerfeldscher Fotokunstversuche präsentiert das Kunstmuseum nun mit Gerhard Hoehme einen Magier der Farbe, dessen Verdienste im internationalen Kunstgeschehen kaum einzuschätzen sind.Wie die informellen Kollegen Emil Schumacher, Bernard Schultze und Fred Thieler begriff auch der 1920 in Greppin bei Dessau geborene und 1952 nach Düsseldorf übersiedelte Hoehme den Zweiten Weltkrieg als Stunde Null der Kunst.Unter dem Eindruck von Wols, Fautrier und Dubuffet hinterfragte Hoehme den Sinn des Tafelbildes und ließ die Farbe aus dem Geist der Abbildverweigerung auferstehen.Die pastosen "Borkenbilder", in denen von älteren Leinwänden abgekratzte Farbe zum Zuge kommt, entwickeln mit ihrer Reliefstruktur geradewegs Objektcharakter.Auch die Form des Bildträgers ordnete Hoehme den Befindlichkeiten der Farbe unter und gelangte so zu unregelmäßig geformten "Shapes".

Die Retrospektive mit 50 Arbeiten aus vier Jahrzehnten dokumentiert, wie Hoehme das einst als Symbol der Kunstfreiheit gefeierte, bald in Gesten erstarrende Informel hinter sich ließ.Gemäß seiner Auffassung, daß "der Grad der Beziehung zum Inhaltlichen der einzig wirkliche Wertmesser" der Kunst sei, verleibte Hoehme seinen Farbmanifesten auch Gegenstände ein.Ungeahnte Affinitäten zu den weitaus erfolgreicheren Amerikanern Jasper Johns, Cy Twombly, Warhol und Rauschenberg treten zutage.In dem "Kameradenbild" (1965) applizierte er Fotos von Kriegsteilnehmern auf einen von seriellen Kreuzen und Zahlen gebildeten Bildgrund.Mitte der 60er Jahre tauchen die Schläuche und farbigen Nylonschnüre, die eigentlichen Markenzeichen Hoehmes, auf.Mit ihnen durchbricht der Maler die Bildoberfläche, um den Betrachterraum als Bildraum zu vereinnahmen.Meist gefärbt, zapfen die Schläuche vor der Leinwand stehende Farbtöpfe an, leiten die überfließende Energie der Farbe in die Wände ab oder stellen in mehrteiligen Arbeiten Energiekreisläufe her, die mitunter als Allegorien auf das Werden und Vergehen des Lebens interpretiert werden.Hoehmes formsprengende Energiebündelungen sind aber nicht nur kraftvoll anzusehen, sondern auch ein malerisches Äquivalent zu thematisch ähnlichen Objekten von Beuys.

Der große 15teilige, um eine zentrale Bodenplastik gruppierte Ätna-Zyklus (1981-84) liest sich in der Kombination von gemalter Bildfläche, aufgelegten Steinen, angehefteten Fotos und tentakelhaft ausgreifenden Schläuchen wie das Vermächtnis von Hoehmes Bildgedanken.Das Nebeneinander der Leinwände wirkt allerdings mächtig.Es stellt sich die Frage, ob der Tafelbilderstürmer Hoehme zum Schluß nicht selbst Traditionen und Konventionen verhaftet blieb.- Freilich: Der 1989 an seinem Wohnort Neuss verstorbene Gerhard Hoehme ist - obwohl nie richtig in Vergessenheit geraten - eine Wiederentdeckung, wie man sie nicht alle Jahre hat.

Kunstmuseum Bonn, bis 20.September, Katalog 36 DM

MARTIN SEIDEL

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