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"Enfant terrible": Tomi Ungerer wird 75

Feierliche Empfänge und Laudatien sind Tomi Ungerer ein Gräuel. Und so wird er sich zu seinem 75. Geburtstag am kommenden Dienstag mit seiner Frau "irgendwo in den Schwarzwald" zurückziehen.

Straßburg - Etwas Ruhe kann der Karikaturist und Kinderbuchautor durchaus gebrauchen, denn trotz seiner schwer angeschlagenen Gesundheit hat er alle Hände voll zu tun. Er arbeitet an der Verfilmung seines berühmten Kinderbuches "Die drei Räuber" mit und plant ein Werk über die "Kathedralen von Straßburg". Das werde reichlich deftig ausfallen und vermutlich nicht wenige Elsässer schockieren, sagt Ungerer, dem wie eh und je der Schalk aus den blauen Augen blitzt.

Mit sichtlicher Freude erzählt er auch von seiner jüngsten Provokation: Für das Städtchen Plochingen bei Stuttgart hat er öffentliche Toiletten in Form eines üppigen Hinterteils entworfen, die innen rosa beleuchtet sind. "Das ist vielleicht der größte Hintern der Welt", grinst der hochgewachsene Elsässer mit den schlohweißen Haaren. Sollte sich jemand über das Werk aufregen, wird er es ebenso gelassen hinnehmen wie die harsche Kritik mancher Feministinnen oder Moralapostel an seinen Sado-Maso-Phantasien oder den Abbildungen strammer Frauen mit üppigem Busen in aufreizenden Posen. Nicht seine Zeichnungen seien pervers, pflegt er auf solche Proteste zu erwidern, sondern eine Gesellschaft, die Erotik zu Sex verkommen lasse.

Zeichner mit spitzer Feder

Über Verlogenheit und Heuchlerei hat sich Ungerer in zahlreichen seiner schätzungsweise 40.000 Zeichnungen und fast 160 Bücher mit spitzer Feder und beißenden Kommentaren lustig gemacht. Immer wieder prangerte er auch Kriege an, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Sein jüngstes Kinderbuch "Neue Freunde - making friends" schildert denn auch das Schicksal von Einwanderkindern, die beim Spielen nach neuen Freunden suchen. Es soll im April bei Diogenes erscheinen, seit 50 Jahren Ungerers Hausverlag.

"Er ist unser erfolgreichster Long-Selling-Autor", betont eine Verlagssprecherin. Neben einer Jubiläumsausgabe des "Großen Liederbuchs" solle demnächst auch eine Sammlung ausgewählter Cartoons erscheinen - mit dem Titel "expect the unexpected". Dies ist sozusagen die Lebensdevise des rebellischen Sohns einer betuchten Straßburger Uhrmacherfamilie, seit er sich 1956 nach New York durchschlug - ohne Schulabschluss, mit 60 Dollar in der Tasche und einem Koffer voller Zeichnungen. Dort begann seine Karriere mit den ersten Kinderbüchern über die Schweinefamilie Mellops und Werbeplakaten für namhafte Firmen.

Kritiker des amerikanischen "Way of life"

In seinen 15 Jahren in New York entpuppte sich der Elsässer als scharfsichtiger Kritiker des amerikanischen "Way of life". Seine bissigen Karikaturen der New Yorker Schickeria verschafften Ungerer internationalen Erfolg - und Anfeindungen in den USA, wo seine Bücher schon lange nicht mehr verlegt werden. Damals begann er auch, sich politisch zu engagieren - mit zynischen Federstrichen gegen den Vietnam-Krieg, die heute noch immer - oder wieder - aktuell sind.

Heute setzt sich der 75-Jährige Vater dreier erwachsender Kinder als "Botschafter für Kindheit und Erziehung" des Europarats für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit ein, etwa mit Plakaten für Anti-Rassismus-Kampagnen. Außerdem will Ungerer sich künftig mehr dem Schreiben widmen, nicht zuletzt, weil sein Sehvermögen nach einer Erkrankung stark nachgelassen hat. "Ich habe Stoff für gut hundert Bücher", versichert er. Ein Buch, das er gemeinsam mit dem deutschen Psychiater Burkhard Hoellen verfasst hat, ist dieser Tage unter dem Titel "Don't hope, cope" erschienen und gibt Anleitungen zur Problembewältigung. Ungerer hat dafür seine eigenen Rezepte. Sollte er eines Tages ganz erblinden, werde er eben mit Knetmasse Figuren formen, witzelt er.

Später Ruhm in Frankreich

Dass er lange Jahre zwar im deutschsprachigen Raum und in Japan ein Star war, in Frankreich jedoch fast ein Unbekannter, hat den Elsässer oft gewurmt. Doch mittlerweile gehört er auch in seinem Heimatland zu den bekanntesten Karikaturisten, und soll zudem sein eigenes Museum bekommen. Dass dieses Projekt, das ihm seine Heimatstadt Straßburg bereits 1991 versprochen hatte, nun nach langem Hin und Her endlich vorankommt, freut den Elsässer besonders. Die Eröffnung ist im September kommenden Jahres geplant - rechtzeitig vor seinem 76. Geburtstag. (Von Jutta Hartlieb, AFP)

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