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Kultur: Engelchen, Bengelchen

Lob der Ungleichheit: die Komödie „Die Schuhe meiner Schwester“

Wenn es doch nicht so wunderbar glücklich ausginge. Natürlich muss das hässliche Entlein Rose (Toni Collette, seit „Muriels Hochzeit“ auf die Rolle des Mauerblümchens abonniert), Workaholic mit Gewichtsproblem, Intellektuellenbrille und einem Schrank voll nie getragener Schuhe, am Ende, befördert durch die Liebe zu einem jüdischen Anwalt, aufblühen zum strahlenden Schwan, mit sanft erröteten Wangen, gesundem Teint und einem hinreißend schüchternen Charme.

Natürlich muss auch die Schlampe Maggie (Cameron Diaz, Rebellin aus „Life Less Ordinary“, „3 Engel für Charlie“ und „Verrückt nach Mary“), die sich von Gelegenheitsbekanntschaften aushalten lässt, die Schminke zentimeterdick auf dem Gesicht und am Körper ein durchsichtiges Fähnchen, zur liebevollen Altenbetreuerin mutieren: Sie lernt, angeleitet durch einen blinden Professor, sogar lesen und rezitiert auf der Hochzeit ihrer Schwester ein Gedicht von e.e.cummings.

Und natürlich sitzt man da und hat Tränen in den Augen. Und ärgert sich gleichzeitig, dass das so unwahrscheinlich glückliche Ende das große Thema dieses Films verspielt. Denn diese beiden Schwestern, so unterschiedlich wie Feuer und Wasser, haben sich zuvor alle Gemeinheiten zugemutet, derer sie fähig waren. Wie ist das, wenn der Mensch, der dir am nächsten steht, gleichzeitig der ist, den du hasst in jeder Minute? Hasst, wie Rose, weil Maggie verantwortungslos ist, dauerbetrunken, unfähig, ihren Job auch nur zwei Tage zu behalten. Und hasst ihn, wie Maggie, weil Rose, die erfolgreiche Anwältin, ihr in jeder Minute zu verstehen gibt, dass sie der Loser ist, dumm, unfähig und egoistisch. Und doch wirst du am Ende selbst deine Liebe aufs Spiel setzen, für die Schwester, und den Stolz und die Karriere sowieso.

Da muss schon ein guter Engel kommen. Und der gute Engel ist in diesem Fall gleichzeitig der gute Engel des Films. Denn mit dem Auftritt von Shirley MacLaine kippt der Ton in „In den Schuhen meiner Schwester“. Diese Großmutter Ella, vor den Schwestern seit deren Kindheit verheimlicht, lebt in Florida in einer Seniorenresidenz, als ihr plötzlich Maggie ins Haus schneit. Und wie die beiden zueinander finden, wie Ella ihre Missbilligung gegenüber der unbekümmerten Enkelin verliert, wie die bockige Maggie endlich eine Heimat, einen Hafen findet, dass sind ganz wunderbare Szenen. Da kauft sich Ella einen Fernseher und erwartet die Enkelin mit Cocktails zu Hause, berät sich mit ihrer Seniorenclique, und die alten Ladys wissen durchaus Bescheid. Da wirbelt Maggie im Gegenzug die Senioren kräftig durcheinander und intrigiert gleichzeitig erfolgreich für eine Romanze der Großmutter. Und all das passiert ohne große Szenen, nur in ein paar fragend hochgezogenen Augenbrauen, einem kritischen Blick: wohltuende Verunsicherung in einem geradezu beunruhigend sicher eingerichteten Leben.

In diesem Momenten ist Regisseur Curtis Hanson, der mit „L. A. Confidential“ einen Klassiker des Neo-Film-Noir und mit „8 Mile“ eine furiose Bühne für den Rapper Eminem schuf, ganz bei dem Charakterdrama angelangt, das er hatte drehen wollen. Dass dann noch eine psychisch kranke Mutter, eine böse Stiefmutter, eine jüdische Hochzeit und vieles andere hinzukommen müssen – das hätte es nicht mehr gebraucht. Denn in dem Moment, in dem sich Ella, Maggie und Rose gemeinsam über ein altes Fotoalbum beugen, ist das schönste Happy End eigentlich schon erreicht.

In 19 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center

Christina Tilmann

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