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"Entartete Kunst": Szene mit Boris Aljinovic (als Karl Friedrich), Anika Meuer (als Lise Schmidt) und Udo Samel (als Cornelius Gurlitt).

© Britta Pedersen/dpa

"Entartete Kunst" im Renaissance-Theater: Der alte Mann und die Bilder

Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung: „Entartete Kunst“, das Stück von Ron Harwood zum Fall Gurlitt mit Udo Samel in der Hauptrolle, hat der Wirklichkeit nichts hinzuzufügen.

Nach allem, was man weiß, war Cornelius Gurlitt ein scheuer, zerbrechlicher, aus der Zeit gefallener Mensch. Einer, der über sich selbst sagte „Ich bin doch etwas ganz Stilles“. Der auf die Frage, ob er jemals einen anderen Menschen geliebt habe, nur kichernd „Ach, nein“ entgegnete. Der nichts mehr verabscheute als die Öffentlichkeit und nichts mehr liebte als die Bilder, mit denen er lebte. Chagall, Beckmann, Marc, Picasso, Matisse, Dix. All die Gemälde, die von den Nazis als „entartete Kunst“ gebrandmarkt worden waren und die Cornelius’ Vater Hildebrand, ein Kunsthändler mit jüdischen Familienwurzeln, irgendwie in seinen Besitz gebracht hatte.

Und über dieses „irgendwie“ herrscht ja bis heute keine Klarheit. Obschon fünf Jahre vergangen sind, seit Cornelius Gurlitt in einem Zug von Zürich nach München ins Visier der Steuerfahnder geriet und in der Folge in seiner Schwabinger Wohnung dieser ungeheuerlich wertvolle Schatz entdeckt wurde, vieles davon wohl sogenannte Raubkunst. Ein Skandal, ein Rätsel. Unzweifelhaft ist nur, dass Gurlitt, den die Zeitungen bald „Phantom“ tauften, für seine Bilder lebte und ohne sie starb.

Auf der Bühne bittet Cornelius Gurlitt seine „Familie“, wie er sie nennt, still zu sein, als es an der Tür klingelt. „Wir haben einen Besucher!“ Also Ruhe, Liebermanns „Reiter am Strand“! Psst, Spitzwegs „Klavierspiel“. Udo Samel spielt am Renaissance-Theater den greisen Gurlitt in „Entartete Kunst“ von Ron Harwood. Keine leichte Aufgabe. Der britische Autor, der sich immer wieder mit Kunst und Nazizeit auseinandergesetzt hat – wie im Drama „Taking Sides – Der Fall Furtwängler“, oder im Drehbuch zu Roman Polanskis „Der Pianist“ –, lässt seinen Protagonisten nicht alt, aber albern aussehen. Zu Beginn begegnet uns Gurlitt als Kindskopf, der in Schaffneruniform seine elektrische Eisenbahn entgleisen lässt („Was für eine Katastrophe! Aber was für ein Spaß!“).

Der frivole Alte

Allerdings währt die verrückte Idylle in der feudalen Wohnung mit Alpenpanorama-Tapete nicht lange, denn Staatsanwalt Karl Friedrich (Boris Aljinovic) und seine Kollegin Lise Schmidt (Anika Mauer) platzen ins Refugium. Vor denen spielt Gurlitt den frivolen Alten. Fragt, ob die beiden miteinander „fuppen“. „Fuppen“ ist überhaupt ein häufig gebrauchtes Wort an diesem Abend, Gurlitt beklagt sich beispielsweise auch über den „fuppenden Goebbels“. Harwood, zur Uraufführung im Renaissance-Theater angereist, nimmt zu Recht für sich in Anspruch, dass es sich bei „Entartete Kunst“ nicht um eine Dokumentation, sondern um Fiktion handele. Fupp Fiction. Aber worauf zielt das.

Udo Samel, der Star aus Yasmina Rezas „Kunst“, jetzt der Hüter der „Entarteten Kunst“, macht seine Sache dabei souverän, keine Frage. Hat auch berührende Momente, wenn seine Wohnung ausgeräumt, in seinen Augen: die Bilderfamilie deportiert wird und er mit zugeschnürtem Herzen allein bleibt.

Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung

Bloß lässt die Vorlage diesem Geflüchteten des eigenen Lebens kein Geheimnis. Mit dickem Pinsel ist er gemalt, als einer, der polternd die Steuerfahndung mit der Gestapo vergleicht. Der mit diebischem Vergnügen dem Kunsthändler Andras Weisz (Ralph Morgenstern) einen gefälschten Cezanne andreht. Regisseur Torsten Fischer setzt das neue Stück mit sicherer Hand in Szene, kitzelt aus diesem großen Kunstkrimi der jüngsten Zeitgeschichte an Spannung heraus, was zu holen ist. Ringt aber auch mit den überlangen Erklärpassagen, die Harwood seinen Figuren in den Mund legt.

Szene mit einem Kunsthändler (Ralph Morgenstern) und Cornelius Gurlitt (Udo Samel).
Heiße Ware: Ein Kunsthändler (Ralph Morgenstern) und Cornelius Gurlitt (Udo Samel).

© Britta Pedersen/dpa

„Entartete Kunst“ soll ja kein Drama über Eigentumsfragen sein. Will und kann nicht klären, auf welchen Wegen die Gemälde und Zeichnungen in Gurlitts Hände gerieten. Es geht Harwood vielmehr um die Unmöglichkeit einer Wahrheitsfindung in diesem Fall. Um eine Vergangenheit, die plötzlich mit Wucht die Gegenwart überblendet und uns in schwer entwirrbare ethische Dilemmata stürzt. Aber das alles ist in Reportagen, Essays, Recherchen schon erörtert worden, während der Fall Gurlitt noch seine Wogen schlug.

Das ist das größte Problem dieses Stücks: Es hat der Wirklichkeit nichts hinzuzufügen. Und auch der Fiktion nicht. „Vergesst mich nicht“, lautet Gurlitts letzte Bitte auf der Bühne. Gerichtet an seine Bilder.

Die nächsten Vorstellungen: 10. Oktober, 20 Uhr und 11. Oktober, 18 Uhr

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