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"Entartete Kunst": Verfemt, versteckt, verschollen

Wie kommen die Schätze ins Erdreich vors Rathaus? Der Weg der Skulpturen und die Freude der Entdecker. Ein Kunstkrimi.

Von einem „kleinen Wunder“ spricht Berlins Regierender Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit am Montag – und von einem „einmaligen Fund“. Vor seinem Dienstsitz, der manchmal unter den Schlägen von Presslufthammer und Räummaschinen erzittert, haben Archäologen aus dem Erdreich jene elf Skulpturen geborgen, die jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die Forscher sind sicher: Die wiedergefundenen Kunstwerke zählten zu jenen Objekten, die im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ von den Nazis in ganz Deutschland beschlagnahmt wurden.

Groß ist deshalb am Montag der Andrang zur eigens einberufenen Pressekonferenz im Neuen Museum. Für Wowereit markiert dies zugleich die Rückkehr ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit – aus dem die Grünen-Kandidatin für das höchste Berliner Amt, seine Konkurrentin Renate Künast, ihn vergangene Woche verdrängt hatte.

Der kunsthistorische Coup hat aber vor allem eine ganz andere politische Dimension – bezüglich der „dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte“, wie Wowereit die Jahre des Nationalsozialismus nennt. Die von den Nazis diskriminierten Werke der „Entarteten Kunst“, sie sind doch nicht alle zerstört, einige blieben unter dem Schutt in Berlins historischer Mitte erhalten. Und so sind auch die Vertreter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz um ihren Präsidenten Hermann Parzinger an diesem Morgen vom Entdeckerfieber gepackt. Von einer „kriminalistischen Spurensuche“ spricht Matthias Wemhoff, Chefarchäologe und Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte: Noch ist nicht beantwortet, wie die verfemte Kunst überhaupt in das Erdreich vor dem Roten Rathaus gelangte.

Dazu muss man wissen, dass die große Brache, auf der heute bis auf den Neptunbrunnen und die Marienkirche kaum noch etwas steht, vor dem Zweiten Weltkrieg ein dicht bebautes, geschäftiges Stadtzentrum war. Hier, in der Königstraße 50, hatte der Wirtschaftstreuhänder Erhard Oewerdieck sein Büro. Weil er und seine Frau Charlotte verfolgten jüdischen Intellektuellen zur Flucht verhalfen, belegten ihn die Nazis mit Berufsverbot. Von seinem Widerstand gegen den Rassenwahn hielt ihn das indes nicht ab: Seinen jüdischen Bürobediensteten Martin Lange versteckte er bis zum Kriegsende, den jüdischen Intellektuellen Eugen Tauebler und Selma Stern-Tauebler verhalf er zur Ausreise in die USA. Teile von deren Bibliothek und Korrespondenz bewahrte er auf. Versteckte Oewerdieck hier also auch Gemälde und Skulpturen?

„Oewerdieck war in vielfältiger Weise Anlaufstelle für den Widerstand“, erklärt Wemhoff, „es gibt aber keinen Beweis dafür, dass die Skulpturen in dessen Büro lagerten“. Auszuschließen sei es aber nicht. Sicher ist lediglich, dass die Kunstwerke nun genau an dieser Adresse gefunden wurden. Wie aber gelangten die Skulpturen in ein Haus, das sich in jüdischem Besitz befand und dessen Räume von Handwerkern und einem Miederwarenhersteller gemietet worden waren? Der Fund, ein kriminologischer Fall.

Wie Kriminologen jedenfalls haben die Kunsthistoriker den Weg der Schätze zurückverfolgt. Im Fall von Karl Knappes Skulptur „Hagar“ führt die Fährte über die Propaganda-Ausstellung, die im Frühjahr 1941 in München gezeigt wurde, zurück ins Reichspropaganda-Museum. Dort wurde im November 1941 eingelagert, was an „Entarteter Kunst“ nicht verkauft oder vernichtet worden war. Über Bekannte, die Zugang zum Museumsarchiv hatten, könnten die Skulpturen von dort in Oewerdiecks Bürohaus gelangt sein.

Die Forscher wissen es bisher nicht – dabei könnte die Antwort auf diese Frage Aufschluss über das Eigentum an den Fundstücken geben. Ein Teil der Kunstwerke war von deutschen Museen ab 1937 enteignet und der Zugriff durch ein nachträgliches Gesetz „legalisiert“ worden. Wowereit glaubt: „Die Funde gehören dem Land Berlin. Aber, fügt er hinzu: „Wir sollten heute nicht juristisch sein – sondern glücklich.“

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