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Kultur: Entwicklungshilfe für den Westen

Bernd M. Scherer, den neuen Chef im Haus der Kulturen der Welt, zieht es zu den neuen Großmächten

Die neue Zeit beginnt mit einer Kunstpause. Im Sommer schließt das Haus der Kulturen der Welt für ein Jahr. Die frühere Kongresshalle, die einmal ein WestBerliner Wahrzeichen war, muss renoviert werden. Bernd M. Scherer, seit dem 1. Januar 2006 Intendant, kann sein Improvisationstalent beweisen. Bei der Bespielung des HKW mit seinem komplizierten Innenleben (viel Raum, aber keine richtigen Ausstellungs- und Theaterräume) ist Fantasie immer gefragt.

„Baustelle der Moderne“, so soll der Arbeitstitel lauten. Mit kleineren Projekten will Scherers Team während der Modernisierungsarbeiten den einen oder anderen Fuß in die Tür stellen und das Haus offen halten. Und was ist schon ein Jahr, wenn man die großen geopolitisch-kulturellen Umwälzungen im Blick hat.

Asien zum Beispiel: Das ausgezeichnete China-Programm des HKW geht in die letzte Runde. Oder Lateinamerika: Am 25. Mai eröffnet Brasiliens Kulturminister und „Tropicalismo“-Legende Gilberto Gil mit einem Konzert das „In Transit“-Festival, das mit einer brasilianischen „Copa di Cultura“ (und Künstlern aus Afrika und Taiwan) die Fußballweltmeisterschaft präludiert. All das haben noch Kurator Johannes Odenthal (er bleibt am Haus) und Scherers Vorgänger Hans-Georg-Knopp geplant, der jetzt als Generalsekretär des Goethe-Instituts viele kleine Kulturhäuschen auf der ganzen Welt zu betreuen hat.

Auch Scherer ist ein Goetheaner. Pakistan und Mexiko waren seine Auslandsstationen, er arbeitete in der Münchner Zentrale und von 1994 bis 1999 auch schon einmal im Haus der Kulturen der Welt. Das internationale Symposium zu den „Bilderkriegen“ (5. bis 7. Mai), das er kurzfristig in Zusammenarbeit mit der in Berlin immer wichtiger werdenden Bundeskulturstiftung organisiert hat, zeigt schon, dass er in Zukunft die Programme des HKW flexibler gestalten will.

Ein Haus der Geschichte. Der „Bruchstellen“; das Wort taucht im HKW-Diskurs gern und häufig auf. Lange lag der Bau am grünen Rand – nun mitten auf der Achse zwischen Reichstag, Bundeskanzleramt und Schloss Bellevue. 1989, bei der Gründung des Hauses der Kulturen der Welt, nahm keiner dieses neue Institut so recht ernst. Es sollte sich den außereuropäischen Kulturen widmen und stand unter dem Generalverdacht des Exotismus. Die Deutschen, die Berliner vor allem, waren damals auch eher mit sich selbst beschäftigt.

Mittlerweile kommt man mit Eurozentrismus nicht mehr weit, und selbst die USA, die 1957 den West-Berlinern zur Internationalen Bauausstellung die Kongresshalle spendierten, sehen sich mit neuen, mächtigen Playern konfrontiert. China, Indien, Brasilien. Plötzlich gibt es andere Wege in die Moderne, die sich nicht mehr ausschließlich auf die westlichen Entwicklungsmodelle stützen, die ein anderes Tempo anschlagen und auch ein anderes Traditionsverständnis aufweisen. Hier sieht Scherer sein Spielfeld. Außereuropäische Kulturen sind keine fremden, unterprivilegierten Partner mehr, deren Präsentation in der westlichen Hemisphäre allein von unserem Know-how und guten Willen abhängig sind.

Sieht man dieser Tage die chinesischen Opernaufführungen, wird einem schlagartig klar, wie weit man sich hier zu lande von der eigenen Tradition entfernt hat. Man erkennt aber auch: Avantgardistische Prozesse, die in Europa Jahrzehnte oder Jahrhunderte benötigten (etwa die moderne Aneigung von Shakespeare oder der griechischen Antike), laufen in Asien wegen der explosionsartigen wirtschaftlichen Expansion wie im Zeitraffer ab. Damit sind die Programme des HKW ins Zentrum des Interesses gerückt, die Anforderungen an ein Haus mit gerade einmal 3,1 Millionen Euro Jahresetat (aus Bundesmitteln) steigen gewaltig. Scherer will und kann aber nicht nur Debatten importieren. Seit dem 11. September, dem Irakkrieg und dem so genannten Karikaturenstreit weiß man, dass sich die interkulturellen Konflikte mit Macht aufdrängen. Die Statik des Kalten Kriegs, dem die Kongresshalle ihre Existenz verdankt, ist lange dahin. Seltsam, wie dieses Gebäude mit dem geschwungenen Dach, die Zeitläufte symbolisiert. 1980 stürzte die Halle ein, Betonermüdung. Sieben Jahre später war das Postkartenmotiv rekonstruiert, doch während der achtziger Jahre wusste man nichts anzufangen mit dem Bauwerk, das immerhin für die deutsch-amerikanische Freundschaft stand. In der kulturellen Überflusslandschaft West-Berlins gab es für die Kongresshalle keine Verwendung. Damals waren die Berliner Festspiele der große Importeur und Brückenbauer, vor allem nach Osteuropa.

Als ein fragiles, für viele seinerzeit auch ein fragwürdiges Gebilde war das Haus der Kulturen der Welt anno ’89 schon ein Vorbote der Hauptstadt. Auch das Hebbel-Theater wurde damals neu gegründet und nahm bis heute eine parallele Entwicklung. Bernd Scherers HKW und Matthias Lilienthals HAU berühren sich programmatisch. Die klassische Moderne, das war einmal. Jetzt haben wir die globalisierte Moderne.

2007 wird die Kongresshalle 50 Jahre alt. HKW-Intendant Scherer will dann zur Wiedereröffnung ein USA-Programm auflegen, mit Schwerpunkt New York. Das ist man der Geschichte des Hauses schuldig. Und es zeigt auch noch einmal in aller Deutlichkeit, wie die Perspektiven sich verändert haben, wenn ein Haus der Kulturen der Welt in Berlin nach einer China-Reihe ein Nordamerika-Programm entwirft. Fremde Welten kommen näher, und Freunde werden fremd.

Außereuropäischen Kulturen auf Augenhöhe begegnen – das war immer Handlungsimperativ des HKW. In Richtung Amerika beschreibt das inzwischen eine neue kulturelle Distanz. Und in Richtung Asien könnte es bedeuten, dass dort ein deutsches Haus der Kulturen der Welt zur Abwechslung auch einmal zum Juniorpartner wird.

Kulturelle Randlagen gibt es nicht mehr, dafür ein gestiegenes Selbstbewusstsein in jenen Gegenden der Welt, mit denen die HKW-Leute Austausch pflegen. Bereits vor zwei Jahren hat man hier experimentelles Theater aus Iran präsentiert; auch daran wird man nun anknüpfen. Das Institut, das Bernd Scherer seit vier Monaten leitet, könnte bald auch Haus der Kulturen der neuen Weltmächte heißen. Im Kontext der Wirtschafts- und „Bilderkriege“ muss man sich, so Scherer, im HKW mit den eigenen Begriffen und Traditionen auseinander setzen. Mit der Freiheit, die wir meinen. Und der Frage der Migration in Deutschland. Das Haus am Tiergarten erfreut sich plötzlich einer zentralen Lage.

Rüdiger Schaper

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