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Episodenfilm von Petra Volpe: "Traumland": Zürich kann sehr kalt sein

Fünf Geschichten um eine junge Prostituierte: Der Film „Traumland“ von Petra Volpe erzählt von Mittelständlern und Migranten - und alle sind so egoistisch wie verlogen wie gemein.

„Schneefilme gehen nicht“, hat der unvergessene Kritiker und leidenschaftliche Filmliebhaber Peter W. Jansen im Gespräch mit einem angehenden Kollegen mal gesagt – und der vergleichsweise Jüngere war von derart apodiktischem Urteil schwer beeindruckt. Mag sein, dass es darum ging, dass Kinokartenkäufer sommers grundsätzlich nicht gern an den Winter erinnert werden und im Winter erst recht nicht; mag sein, dass es schon damals prominente Ausnahmen wie „Fargo“ gab oder „Fräulein Smilla“ und deren untrügliches Gespür für den erfolgreichen Schneefilm; mag erst recht sein, dass auch neuerdings etwa höchst schneereiche Kinostücke wie „Verblendung“ oder „The Grand Budapest Hotel“ den Kunstrichterspruch Lügen strafen – das Jansen-Wort war und blieb einfach zu schön: „Schneefilme gehen nicht.“

„Traumland“ nun, vor Weihnachten in und um Zürich spielend, geht gar nicht, und das liegt durchaus nicht am reichlich vorhandenen Schnee. Es liegt auch nicht daran, dass – wenn nicht gerade Ausländer sich radebrechend darin versuchen – in diesem Künstelzürich erbarmungslos Theaterhochdeutsch gesprochen wird. Sondern daran, dass die Regisseurin Petra Volpe nach eigenem Drehbuch in ihrem zweiten Kinospielfilm fünf arg lose miteinander verknüpfte Episoden eisern in einen einzigen Beweisführungsschraubstock zwingt: Der urbane mitteleuropäische Mittelständler und seine migrantisch eher prekär lebenden Mitbürger sind durch und durch egoistisch, böse, verlogen und gemein. Der Mensch, ganz recht, ist des Menschen Schneewolf. Mindestens.

Ein "Traumland" voller Lügen und Geheimnisse

Da wäre etwa die einsame spanische Witwe (Marisa Paredes), die ihre in Hongkong wohnende Tochter cool belügt und von einem einsamen spanischen Witwer, mit dem sie sich schüchtern verbandeln will, auf das Gröblichste beschimpft wird. Oder der von seiner Frau verlassene, längst ins Sonderlinghafte mutierte Hochhausbewohner (André Jung), der seinen im Altersheim lebenden Vater über die eigenen Lebensverhältnisse seit langem im Unklaren lässt und umso hilfloser seiner feindselig fiesen Tochter hinterherläuft. Oder auch das abgebrüht wohlsituierte Ehepaar (Ursina Lardi, Devid Striesow), das, zwar am Rande der Trennung, mit kleinem Sohn und angejahrtem Elternpaar in der Luxus-Skihütte umso heuchlerischer Weihnachten feiert. Und die Sozialarbeiterin, die nach der taffen Nachtschicht mit einem Spielgefährten namens „Sheriff“ frühmorgens Fesselspiele im Hotelzimmer veranstaltet, statt sich brav zu ihrem öden Chorleiter von Mann ins Bett zu legen.

Luna Mijovic spielt die Prostituierte Mia.
Luna Mijovic spielt die Prostituierte Mia.

© Farbfilm Verleih

Der einzig gute Mensch in diesem Panoptikum ist die bulgarische Prostituierte Mia, die als Nachbarin, Gegenstand der Sozialfürsorge und Sexobjekt die Wege der anderen Episodenfiguren kreuzt. Benutzt von Freiern, vergewaltigt von Verwandten, geht sie als geschminkter Engel durch die Humanoiden-Hölle. Luna Mijovic spielt diese Rolle mit der Maske der Coolness, unter der immer anrührender die Fragilität eines sehr jungen Menschen hervorscheint.

Doch so anerkennenswert die Absicht der Regisseurin ist, mit den Mitteln des Spielfilms das Leid von Prostituierten anzuprangern, so fatal verlässt sie sich insgesamt auf die dramaturgisch simpelste Täter-Opfer-Konstruktion. Nur Marionetten werden hier zusammengeführt; nach dünnen Erschütterungen finden sie in wohltemperiert verbogene Verhältnisse zurück, während anderswo ein stilles Drama sich vollzieht. Wo? Natürlich im Schnee.

In Berlin in den Kinos Babylon Mitte, fsk und Zukunft

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