zum Hauptinhalt

Kultur: Er will mehr

„Es war nicht komplett zu Ende gedacht“: Thomas de Maizière im Gespräch über die Euro-Krise, politische Macht und die eigene Zukunft.

Von Hans Monath

Angela Merkel verdankt den Start ihrer politischen Karriere, wie wir nun wissen, einer fast beiläufigen, keineswegs hymnischen Empfehlung durch Thomas de Maizière. Sie lautete: „Sprechen Sie doch mal mit ihr, die ist vom Demokratischen Aufbruch, das passt ja eigentlich. Die macht einen ganz guten Eindruck.“ In seinem ersten Buch erinnert sich der heutige Bundesverteidigungsminister daran, wie er nach der Volkskammerwahl vom März 1990 vorschlug, seine spätere Chefin zur stellvertretenden Sprecherin der ersten frei gewählten Regierung der DDR zu machen: „Ich kenne die nicht näher, aber fragen Sie doch mal!“

Es ist bemerkenswert, dass sich der CDU-Politiker nicht nachträglich als Menschenkenner darstellt, der mit sicherer Witterung schon damals die politische Substanz der späteren Kanzlerin erkannte. Der saloppe Stil der Sätze passt zum bisherigen Bild dieses Politikers: Er gehört zu jenen Charakteren im Zentrum der Macht, die auf laute Töne und grelle Inszenierungen verzichten, ihr Ego zurücknehmen können und womöglich gerade deshalb bei den Bürgern hohes Ansehen genießen.

Als Kanzleramtsminister war der heute 59-Jährige ein stiller, effektiver Organisator der großen Koalition und ihrer Kanzlerin. Als Verteidigungsminister ist er nicht nur der Herr der Bundeswehrreform, sondern ein stiller, effektiver Gegenspieler von Außenminister Guido Westerwelle. Dessen Loblied auf die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ konterkariert er regelmäßig durch die Mahnung, die Deutschen müssten sich in Zukunft auf mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr einstellen.

Doch seit einigen Monaten mehren sich die Indizien, dass de Maizière nicht ewig der dienende Politiker aus der zweiten Reihe der Macht bleiben, dass er womöglich noch mehr werden will als ein über die Parteigrenzen hinweg geachteter Fachminister. Nicht nur seine viel beachtete Rede über Konservativismus auf dem CDU-Parteitag und seine provozierenden Sätze über die Gier der Bundeswehr nach Anerkennung lassen sich als Beleg dafür lesen, dass hier einer aus seiner alten Rolle hinausstrebt, ohne auf neuem Terrain schon sicheren Stand gefunden zu haben.

Ein weiteres, starkes Indiz für diese Deutung liegt nun zwischen zwei Buchdeckel gepresst vor: Der bisher so zurückhaltende Politiker hat dem Journalisten Stefan Braun auf 380 Seiten Auskunft gegeben über seine Familiengeschichte, seine Werte, seinen Weg in die Politik und seine Erfahrungen. Nicht nur für die Fans von Thomas de Maizière ist das eine spannende Lektüre. Denn der Jurist schildert sehr überzeugend, dass exekutive Politik in der fragmentierten deutschen Gesellschaft heute nicht nur eine Frage richtiger Überzeugungen oder guter Pläne ist, sondern ein extrem forderndes Handwerk, das man nirgendwo anders als in einer Staatskanzlei oder im Kanzleramt lernen kann.

Er erlaubt seinen Lesern überraschend offene Einblicke in den innersten Machtzirkel der Politik, der sich im Zeitalter permanenter Beobachtung durch die Medien sonst sorgfältig abschottet. So gesteht er freimütig, dass Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück über sehr dünnes Eis liefen, als sie in der Finanzkrise im September 2009 die Garantie für die Spareinlagen aussprachen. Sein heutiges Urteil: „Es ist gut gegangen. Grandios. Aber es war nicht komplett zu Ende gedacht.“

Erst nach dem denkwürdigen Auftritt von Merkel und Steinbrück vor der Presse nämlich beschäftigten sich die Protagonisten im Kanzleramt mit der Frage, wie das Versprechen denn gedeckt sei. Je genauer sie nachdachten und nachfragten, umso deutlicher wurde ihnen: Es war nicht gedeckt, und genau das durfte nicht zum Thema werden, wenn man die Menschen nicht zum Bankautomaten hetzen wollte. Also musste der damalige Regierungssprecher am nächsten Tag „ein bisschen herumeiern“, wie sich de Maizière erinnert. Sein Fazit: „Das war Können und Glück hoch drei.“ Und liefert damit auch keine Blaupause für den Umgang mit der Euro-Krise.

Offenbar ohne Scheu ventiliert de Maizière auch die Möglichkeit, nach der Bundestagswahl im Herbst in der Opposition zu landen. Es geht, in seinen Worten, um den Fall, „dass wir, die CDU, die nächste Wahl zwar gewinnen und ein gutes Ergebnis erzielen, aber nicht in eine neuer Regierung kommen“. In einem der letzten Sätze dieses sehr lesenswerten Gesprächsbuches behauptet der Verteidigungsminister, es sei noch nicht abgemacht, welche Funktion er dann anstreben wolle – die eines einfachen Bundestagsabgeordneten oder doch mehr. In welcher Weise er vorgehen will, falls ihn dann doch ein hohes Amt lockt, macht er möglichen Konkurrenten aber schon einmal klar. „Ich bin jetzt 59“, sagt er. „Wenn mich etwas wirklich locken würde, dann würde ich auch kämpfen. Dann würde ich schon zugreifen.“

Selbst wenn man dem CDU-Politiker abnimmt, er habe noch keine Entscheidung über seine Zukunft gefällt, sind doch Energie und Ehrgeiz zu spüren, die es nicht sehr wahrscheinlich machen, dass Thomas de Maizière seine politische Karriere wirklich als Hinterbänkler im Bundestag beschließen will. Im Gegenteil: Wenn Angela Merkel die politische Bühne verlässt, will der Autor von „Damit der Staat den Menschen dient“ offenbar nur noch dem Staat und keinem anderen Politiker mehr dienen. Hans Monath

Thomas de Maizière im Gespräch mit Stefan Braun: Damit der Staat den Menschen dient. Über Macht und Regieren. Siedler Verlag, München 2013. 384 Seiten, 22,99 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false