zum Hauptinhalt
Geheimnisvoll. Wegweiser zur "Dau"-Pressekonferenz. Aber wohin führt das Ganze?

© Jörg Carstensen/dpa

Erfahrungsbericht eines Mannes: „Dau“-Casting erinnerte an Scientology-Screening

Ein Hospiz-Mitarbeiter sollte 2017 für „Dau“ gewonnen werden. Das Gespräch ließ ihn an die Sekte Scientology denken. Ein Treffen.

Susanne Marian steht im Schinkel-Pavillon und redet über die Grenzbereiche des Lebens. Das ist ja eines der großen Themen beim Kunstprojekt „Dau“. Die Filmproduzentin sucht Leute, die dazu etwas sagen können, sie arbeitet eng mit dem russischen Regisseur Ilja Khrzhanovsky zusammen, dem Kopf des Projekts. Marian sucht Leute, die in diese künstlich geschaffene Parallelwelt eintauchen und dort leben, Hospiz-Mitarbeiter zum Beispiel. „Es geht um die Erfahrung mit Menschen, die bald das Leben verlieren. Diese Hospiz-Mitarbeiter haben Erfahrungen, die anderen fehlt“, sagt sie.

Deshalb sollen auch Hospiz-Mitarbeiter bei „Dau“ auftreten. Bernd Krüger* allerdings sicher nicht. Der Hospiz-Mitarbeiter Krüger hat seine eigenen Erfahrungen mit dem Projekt gemacht. Der 35-Jährige sollte schon 2017 fürs Projekt gewonnen werden, als es noch in der Volksbühne geplant war.

Er hatte im Januar 2017 ein Gespräch mit zwei Mitarbeitern der Produktion. Und irgendwann beschlich ihn das Gefühl, „dass ich für Scientology gescreent werden sollte“. Kurz darauf sagte er ab.

Protagonisten aus den Extrembereichen des Lebens wurden gesucht

Krüger sitzt in einem Cafe in Mitte, wenige Tage vor der „Dau“-Präsentation im Schinkel-Pavillon, und erzählt, wie seine Neugier in Ablehnung umschlug. Der 35-Jährige ist durch seinen Job einiges gewohnt, deshalb wunderte er sich wenig, als plötzlich zwei junge Menschen, Typ Student, in seinem Hospiz standen, in der Hand einen Zettel, auf dem „Projekt“, „Brian Eno“ und „Marina Abramovic“ stand. Große Namen, der berühmte Musiker, die renommierte Extrem-Künstlerin. Köder für Krüger. Es gehe um ein Projekt in Berlin, bei dem die Künstler bereits zugesagt hätten, erklärten die Besucher. Sie seien Mitarbeiter der Produktion. Und er, Krüger, solle dabei sein. „Das sind natürlich Namen, da denkt man, das hat Hand und Fuß“, sagt Krüger. Der Begriff „Dau“ fiel nicht.

Ein Gespräch in einem Café wurde verabredet, Krüger sollte aber „ein paar Stunden Zeit mitbringen“. Ein paar Stunden? Krüger dachte an fünfzehn Minuten, das müsste doch reichen für ein Gespräch über einen Komparsen-Job. Im Café erzählten die beiden wenig über das Projekt, sagten lediglich, dass es sich an ein mehrjähriges Projekt in der Ukraine anlehne und dass sie Krüger ausgewählt hätten, „weil man die Extrembereiche des Lebens ausloten will“. Zu den Protagonisten des Extrembereichs zählten die beiden auch Feuerwehrmänner, Kripobeamte und Prostituierte. Auch der Name Khrzhanovsky fiel, als Projektleiter. Den Namen hatte Krüger noch nie gehört.

Er wurde zunehmend über seine Person ausgefragt

Ihn interessierte vor allem, was er denn tun müsse. „Aber das blieb eher unklar, deshalb wurde ich skeptisch.“ Er solle in einem Raum leben, Fragen zum Hospiz beantworten, „und ansonsten solle ich damit leben, was dort geschieht“. Und es sollte offenbar einiges geschehen. „Mir wurde explizit gesagt, dass dort auch Räume sind, wo die Damen des Gewerbes sind. Und dass die dort ihrer Arbeit nachgehen könnten. Swingerclub wurde es nicht genannt, aber irgendwo trifft es das vielleicht.“ „Mehrfach“, sagt Krüger, „wurde ich gefragt, ob ich damit Probleme hätte“.

Hätte er nicht. Ein Problem war für ihn eher, dass er zunehmend über seine Person ausgefragt wurde. „Es waren intime Fragen, wie man zu diesem und jenem im Leben stehe.“ Das war dann der Moment, als er an Scientology dachte. Allerdings gingen die Fragen auch wild durcheinander, sie folgten keiner Struktur, die beiden machten sie sich auch keine Notizen. „Mir kam diese Gewichtung sehr seltsam vor“, sagt Krüger. Seine Skepsis wuchs, als einer der jungen Interviewer erzählte, dass er einmal zusammen mit dem Piloten mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen wollte, das über der Ukraine flog. Sie landeten dann doch. „Alles sehr unprofessionell“, sagt Krüger. Vor allem, weil er am Ende die Rechnung bezahlen musste. Die beiden Herren hatten kein Geld dabei.

Noch später erhielt er Anrufe und SMS-Nachrichten

Am Abend googelte er den Namen Khrzhanovsky, fand wenig Material und noch weniger über das Projekt in der Ukraine. „Das hat mich stutzig gemacht. Über so ein langjähriges Projekt muss es doch Material geben.“ Dass Khrzhanovskys Kunst als Geheimaktion behandelt wurde, konnte er ja nicht wissen. Nach der erfolglosen Recherche sagte er ab. Ruhe hatte er damit aber noch nicht. „Ich erhielt nachts Anrufe und SMS-Nachrichten, ob ich nicht doch noch mitmachen möchte. Das Projekt sei verschoben worden.“ Krüger mochte nicht.

Susanne Marian ist entsetzt über Krügers Schilderung. „Das war uns nicht bekannt“, sagt sie. „Wir haben einen sehr hohen Anspruch an die Arbeitsweise und das Auftreten unserer Mitarbeiter. Falls einer unserer Mitarbeiter sich in der beschriebenen Art und Weise verhalten haben sollte, wäre dies völlig unvereinbar mit den bei uns geltenden Standards.“

Das ist sicher richtig. Als „Dau“ noch in der Volksbühne stattfinden sollte, entstand der Film „Filmwanderungen“. Nachbarn der Volksbühne waren dabei eingebunden, sie machten gern mit, der Name „Dau“ allerdings fiel damals nicht. Jetzt ist der Name bekannt. Sollte das Projekt wirklich stattfinden, wird Krüger hingehen. Als Besucher.

* Name von der Redaktion geändert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false