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Kultur: Erfolg verdirbt den Charakter

Scheidung auf Schaubühnen-Art: Der Streit zwischen Schauspiel und Tanz geht in die letzte Runde. Und was wird aus Sasha Waltz?

Der Karren ist zerschnitten, das Tischtuch ist an die Wand gefahren. Alles klar?

Die Scheidung an der Schaubühne lässt sich, wie jedes Ehedrama, auf die verschiedensten Arten und Weisen erzählen. Sicher ist: Sasha Waltz hat den Kooperationsvertrag mit der Schaubühne gekündigt. Und jetzt geht es darum, wie Schauspiel und Tanz – vor allem finanziell – auseinander kommen.

Der Rosenkrieg wird in der Öffentlichkeit ausgetragen. Thomas Ostermeier, Häuptling der Schauspielseite, war sich am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus nicht zu fein, den „Mythos Sasha Waltz“ anzugreifen. Er trug Zahlen vor, aus denen abzulesen sei, dass der Anteil des Tanzes am Erfolg der Schaubühne überschätzt werde. Umgekehrte Rechnungen kann man sich bei Jochen Sandig, Sasha Waltz’ Manager, abholen.

Ein unwürdiges Spektakel. Aus jungen Künstlern, die vor sechs Jahren angetreten sind, eine neue Schaubühne mit Schauspiel und Tanz aus der Taufe zu heben, sind giftige Gegner geworden. Was sie entzweit, ist nicht ein künstlerisches Scheitern oder mangelnder Publikumszuspruch, im Gegenteil. Hier ist ein kollektives Leitungsmodell letztlich am Erfolg zerbrochen; an der Definition der Verdienste. Wieder scheiden sich Schauspiel und Tanz wie Feuer und Wasser.

Die Abwicklung von Tanzsparten hat am deutschen Staats- und Stadttheater Tradition. In Berlin dauerte es mehr als zehn Jahre, bis es gelang, aus den drei Opernhäusern ein autonomes Staatsballett herauszulösen. Wo ist in der Hauptstadt Platz für Sasha Waltz?

Die Schaubühne, sagt Jochen Sandig, „ist in Berlin die beste Bühne für den Tanz“. Sasha Waltz hat mit ihren Stücken, die auf den Lehniner Platz zugeschnitten sind, ein großes Publikum erobert, nicht zum Schaden der Schaubühne. Verständlich, dass sie ihr Repertoire dort nicht aufgeben möchte. Allerdings ist bei Waltz der Freiheitsdrang nicht zu übersehen. „Dido & Aeneas“, ihre Koproduktion mit der Staatsoper Unter den Linden, wurde zum Triumph. Waltz und Sandig haben viele Füße in vielen Türen, so sind die Tanzstrukturen.

International gefragt sind beide, Ostermeier und Waltz. Für Ostermeiers Schauspiel hat sich der Erfolg erst später eingestellt, Sasha Waltz hatte den großen Schaubühnenraum schneller erobert; sie fiel dann künstlerisch etwas zurück. Daraus nun im Konflikt irgendwelche Ansprüche abzuleiten, von welcher Seite auch immer, erscheint absurd. Unsinnig auch, wenn Thomas Ostermeier sagt, er habe damals Sasha Waltz dazugebeten, was heißen soll: Die Schaubühne bin ich!

Ende der Neunzigerjahre, als alles begann, machte Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm eine strukturelle Unterfinanzierung geltend, die von der Kulturpolitik nie bestritten wurde. Auf die nächsten drei Jahre gerechnet sind es 960 000 Euro, die fehlen. 383000 Euro jährlich (und dann noch einmal 400000 Euro als Nachschlag) wurden der Schaubühne wegen des neu hinzugekommenen Tanzensembles damals zusätzlich zugestanden.

Schitthelm und Ostermeier sagen: Waltz kann bei einer Trennung mitnehmen, was sie in die Ehe mitgebracht hat. 383 000 Euro, keinen Cent mehr. Alles andere empfände Ostermeier als „Angriff“ auf seine künstlerische Arbeit, droht mit Abgang. Jeder will Märtyrer sein. Tatsächlich brachten die Schaubühnenjahre für Waltz und Ostermeier einen gewaltigen Karrieresprung.

Und was macht der Kultursenator? Thomas Flierl hat nicht versucht, den lange schwelenden Konflikt zu moderieren. Er hat klamm und heimlich, daran erkennt man seine Handschrift, Sasha Waltz einen eigenen Titel für den Doppelhaushalt 2006/07 verschafft: 500000 Euro. Es könnte noch mehr werden, wenn die Parlamentarier morgen im „Unterausschuss Theater“ zur Abstimmung schreiten. Wenn sie, wofür einiges spricht, die zu scheidende Ehe als Zugewinngemeinschaft betrachten.

Dann wäre die Schaubühne düpiert, aber Sasha Waltz immer noch nicht zufrieden. Obwohl sie auch vom Hauptstadtkulturfonds Geld bekommt: je 875000 Euro in den nächsten drei Jahren, was kein Almosen ist. Am Ende werden sich alle als Verlierer fühlen. Vor allem das Publikum, sollte der Tanz aus der Schaubühne verschwinden. Am 19. November hat Sasha Waltz eine Uraufführung. An der Schaubühne. Zum letzten Mal?

Rüdiger Schaper

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