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Kultur: "Erneuere unsere Tage": Das ewige Dennoch

Es ist Wahlkampf in der jüdischen Gemeinde Berlins: Am 18. März soll die neue Repräsentantenversammlung samt Vorsitzendem gefunden werden.

Es ist Wahlkampf in der jüdischen Gemeinde Berlins: Am 18. März soll die neue Repräsentantenversammlung samt Vorsitzendem gefunden werden. Ein Raunen der Erleichterung ging durch Öffentlichkeit und Politik, als Andreas Nachama vom Rücktritt zurücktrat und seine abermalige Kandidatur ankündigte. "Jüdische Einheit" nannte er seine eigens gegründete Liste. Aus der der Schriftsteller Rafael Seligman gleich nach einer der ersten Sitzungen wieder austrat. Unter dem Vorwurf, die Liste sei nur auf Nachama ausgerichtet, das widerspreche seinem Demokratieverständnis. Ein ebenso richtiger wie naiver Vorwurf.

Jetzt, eine Woche vor dem Wahltermin, hat Nachama im Berliner Renaissance-Theater ein Buch vorgestellt, das kein echtes Parteiprogramm ist. Aber Auskunft gibt über das, was den Menschen, Rabbiner, Historiker und Politiker Nachama umtreibt. "Eine Bilanz in der Mitte seines Lebens", nannte der ehemalige Festwochen-Chef Ulrich Eckhardt die Sammlung Nachamascher Schriften aus den letzten 16 Jahren. "Erneuere unsere Tage" (Philo Verlag) heißt der Band: Eine Bitte aus den Klageliedern, die den Schabbatgottesdienst beschließen. Und Ausdruck einer Hoffnung, die sich auf das Leben in einem von Rechtsradikalen verseuchten Deutschland genauso bezieht wie auf den geistigen Zustand der jüdischen Gemeinde: Dass der Holocaust und die Erinnerung daran nicht als einziges jüdische Identität stiften dürfe, das ist Nachamas wichtigstes Anliegen. Denn, so konstatierte er schon Anfang der 90er Jahre, "der Holocaust hat theologische Züge angenommen". Und so kämpft er darum, jüdische Identität aus ihren religiösen und ethischen Traditionen heraus zu formen, und nicht aus ihrer vernichtendsten Katastrophe. Damit der nun erwachsen gewordenen dritten Generation nicht der Holocaust als ins Negative gewendete Klammer dienen muss.

"Es geht darum, Judentum positiv zu leben", wer diesen Ausspruch Nachamas nur auf kulturelle Prägungen und Traditionen bezieht, liegt falsch. Denn aus den wenigen, von Udo Samel mit intensiver Verhaltenheit vorgetragenen Passagen spricht die tiefe Gläubigkeit des Rabbiners. Und jene Überzeugung, dass dem Judentum - wie nach der Zerstörung des antiken Tempels oder den Pogromen im mittelalterlichen Deutschland - auch diesmal aus der Katastrophe eine Erneuerung erwachsen müsse, die den Bestand und die Fortentwicklung des Judentums garantiert. Damit das von Leo Baeck bezeichnete "ewige Dennoch" erhalten bleibt.

"Räumt die Steine hinweg", jener Aufruf des Propheten Jesaja ist für Nachama Programm. Damit der Blick wieder frei wird, was Judentum nach der Shoa sein könnte. Einer, der den Weg weist, das will Nachama nicht sein. Aber auf der Suche - das ist er allemal.

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