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Appell an den Regierenden. Am Montag demonstrierten Studierende und Dozenten vor dem Roten Rathaus.

© dpa

Ernst-Busch-Schule: Kommt rein, haut drauf!

Der Protest der Ernst-Busch-Studenten ist ein Weckruf für die Hauptstadt. Nach den Exzellenz-Maßstäben, wie sie an andere Hochschulen angelegt werden, gehört die Schauspielschule zur Weltspitze. Doch die Studierenden lernen ihr Handwerk in einer Bruchbude.

Sie sind überall. Es gibt im Augenblick kaum eine Veranstaltung, die nicht mit einem Auftritt der protestierenden Ernst-Busch-Studenten beginnt. Ob es Thomas Oberender ist, der neue Intendant der Berliner Festspiele, oder Matthias Lilienthal, der scheidende Chef des Hebbel am Ufer: Sie überlassen dem Chor der angehenden Schauspieler die Bühne. Bis in die Fernseh-Talkshow von Günther Jauch hat es ein Busch-Krieger am Sonntagabend geschafft.

Sie machen das geschickt und professionell. Sie mischen den routinierten Kulturbetrieb auf – kein Zuschauer, kein Politiker, kein Theaterhausherr, der die Störenfriede nicht willkommen hieße.

Sie kommen gebeten. In der Kultur, in einer Welt also, die von der Grenzüberschreitung, der Provokation und Überraschung lebt oder leben sollte, haben die Berliner Schauspielstudenten die Rolle der Piraten, der Occupy-Bewegten übernommen. Mit dem Unterschied, dass niemand die Polizei holt und räumen lässt. Selbst Günther Jauch hat den lauthals protestierenden jungen Mann den Fängen der Sicherheitsleute entrissen, als gerade ein sockenloser Sandalenträger von der Piratenpartei in der Politrunde über Mitgliederbeteiligung daherschwafelte wie ein alter Talkshow-Proporz-Profi und Renate Künast und Klaus Wowereit in geübten Phrasen müde widersprachen.

Sie treffen einen Nerv. Bei der Uraufführung des Dokumentarfilms über Christoph Schlingensiefs afrikanisches Operndorf – „Knistern der Zeit“ von Sibylle Dahrendorf – hat man es besonders stark empfunden. Als die Studenten der Schauspielschule „Ernst Busch“ loslegten, da fehlte er plötzlich sehr und noch mehr, da war den Menschen im Saal des HAU 1 noch einmal klar, welch gewaltige Lücke der Tod von Christoph Schlingensief hinterlassen hat. Denn da ist keiner mehr, der anders tickt; keiner, der die Lebensgeister weckt; keiner, der Kunst so unterhaltsam und existenziell vorlebt.

Die Studenten treibt dabei erst einmal etwas anderes um. Sie haben ein praktisches Ziel: den lange versprochenen und geplanten Neubau ihrer Ausbildungsstätte in halbwegs zentraler Lage. Derzeit sind die Ernst-Busch-Standorte über die Stadt verteilt, das Haupthaus in Niederschöneweide spottet jeder Beschreibung. Die Schauspielschule ist für den deutschen Film und die Bühnen eine erste Adresse. Nach den Exzellenz-Maßstäben, wie sie an andere Hochschulen angelegt werden, gehört „Ernst Busch“ zur Weltspitze. Doch die Studenten lernen ihr Handwerk in einer Bruchbude.

Nun war der sogenannte politische Wille immer da, der Hochschule zu helfen. Doch die Bauplanungen ziehen sich schon über Jahre, und plötzlich gerät das Projekt zwischen die Fronten von SPD-Fraktion und Senat. Im Hintergrund toben die Grabenkämpfe der Sozialdemokraten in der Hauptstadt. Zwar spricht sich der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit in der Öffentlichkeit für den Neubau aus, vielleicht auch nur auf Druck der omnipräsenten Studierenden. Aber es sieht so aus, als würde ihm die eigene Fraktion in den Rücken fallen.

Ähnliches war bei der Finanzkrise des Grips-Theaters zu beobachten. Wowereit sieht nicht, dass sich die kulturelle Basis Berlins bedroht fühlt: eine weltberühmte Kinder- und Jugendtheaterbühne und ein unglaublich erfolgreicher Ausbildungsort für Schauspieler und Regisseure. Der Kultur in Berlin geht es alles in allem gut, doch es könnten die letzten der guten Jahre sein, wenn man die Zeit verschläft. Die Stadt verändert sich, die Kulturpolitik bewegt sich kaum oder gar nicht. Im Radialsystem werden Mitte des Monats freie Kulturschaffende über neue Modelle und Ideen debattieren. Und über die neuen Herausforderungen, die eine beschleunigte und politisch kaum kontrollierte Stadtentwicklung mit sich bringt. Hier geht es um Liegenschaften, Grundstückpreise, Mietsteigerung.

Es ist ja wunderbar, wenn man einen Frank Castorf noch einmal drei Jahre an der Volksbühne hält, so dass er mit seinem alten Intimfeind Claus Peymann vom BE um die Krone des dienstältesten Intendanten wetteifern kann. Es ist ganz toll, wenn die Opern sich nicht mehr in Existenznot zerfleischen und der Kulturetat in den nächsten zwei Jahren moderat steigt. Aber es ist nicht genug. In der Berliner Kulturpolitik steckt zu wenig Gestaltungswille und Zukunftskraft. Das Große und Ganze stagniert.

Das spüren die Studenten. Deshalb klopfen sie so mächtig auf den Busch. Deshalb fliegen ihnen die Herzen zu. Nettere Demonstranten hat die Stadt nie erlebt. Die wollen wirklich nur spielen.

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