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An der Stelle der früheren NSDAP-Parteizentrale. Das Dokumentationszentrum zu München und dem Nationalsozialismus.

© Andreas Gebert/dpa

Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums: Der weiße Würfel ist gefallen

Nach Personalquerelen und Bauverzögerungen: Das neue Münchner NS-Dokumentationszentrum ist eröffnet. Ein erster Rundgang..

Gleich nachdem sich der Aufzug geöffnet hat, fällt der Blick auf eines der brutalsten Bilder dieser Ausstellung: ein Leichenfeld im Ersten Weltkrieg, fotografiert bei der Schlacht im flämischen Ypern. Es steht für die Vorgeschichte dessen, was das eigentliche Thema des Hauses ist – nämlich München im Nationalsozialismus. Das schockierend Foto zu Beginn soll sein, ansonsten verzichtet die Schau auf Horrorbilder, die es ja gerade aus der NS-Zeit in Hülle und Fülle gibt.

Das NS-Dokumentationszentrum am Münchner Königsplatz hat seit einer Stunde geöffnet. Jahrzehntelang war über das Haus gestritten worden. München solle sich endlich seiner Vergangenheit als „Hauptstadt der Bewegung“ stellen, so die vielfache Forderung. „Das Haus kommt eine Generation zu spät“, sagt Gründungsdirektor Winfried Nerdinger, ein emeritierter Professor für Architekturgeschichte an der Münchner TU. Doch nun ist dieser weiße Würfel geöffnet, und zwar da, wo sich an der Brienner Straße 34 einst die Parteizentrale der NSDAP, das „braune Haus“, befand .

Was ist zu sehen? Von oben geht es, beim Ersten Weltkrieg beginnend, chronologisch vier Stockwerke nach unten bis zur Gegenwart. Zu Beginn wird München als Stadt der reaktionären „Gegenrevolution“ Anfang der 20er Jahre gezeigt. Auf einem Wahlplakat präsentiert sich die Bayerische Volkspartei als Kämpferin gegen den „Bolschewismus“, der seine Hand schon über Berlin hält und einen Feuerstab gen München richtet. Rechtsextreme werden von Polizei und Verwaltung gedeckt, Adolf Hitler hält große, primitive Hetzversammlungen ab und fragt: „Warum sind wir Antisemiten?“

Er wird vom Bürgertum und der Wirtschaft gepäppelt, München entwickelt sich als konservativer bis rechtsradikaler Gegenpol zum Berlin der Moderne. Lion Feuchtwanger schreibt 1930 zornig, dass die früher „schöne, behagliche Stadt“ alles magisch angezogen habe, „was faul und schlecht war“. Für Thomas Mann war es „die eigentlich dumme Stadt“. Das Fazit dieses Abschnitts lautet: „Demokratie kann scheitern“. Anfang März 1933 hängt eine große Hakenkreuzfahne am Münchner Rathaus am Marienplatz.

So geht es weiter – und hinab. Auf schwarzen Schautafeln sind – gut ausgeleuchtet – die Bilder und Texte zu sehen. Gezeigt wird der NS–Alltag – „Wegschauen, Zuschauen, Mitmachen“. Zwei Frauen auf dem Fahrrad heben am „Ehrenmal“ vor der Feldherrnhalle die Hand zum Hitlergruß, das war Pflicht an diesem Ort. Auch ein Kellerversteck in Schwabing ist zu sehen, dort druckten Kommunisten ihre Zeitungen.

Im Stockwerk, das sich mit dem Zweiten Weltkrieg befasst, werden Münchner Soldaten und Polizisten bei Kriegsverbrechen gezeigt. Etwa ein Münchner Reservepolizei-Bataillon, das im slowenischen Celje 100 Zivilisten per Massenerschießung ermordet. Es folgen Zusammenbruch und Befreiung, die weitgehend nicht erfolgte Entnazifizierung, der Blick in die Gegenwart mit einem Neonazi-Aufmarsch vor der Feldherrnhalle und der Lichterkette gegen Fremdenfeindlichkeit mit 400 000 Teilnehmern am Nikolaustag 1992. Und das einstige „Parteiviertel“ mit dem von den Nazis verschandelten Königsplatz als Zentrum – bis 1988 wurde er als Parkplatz genutzt, danach begrünt. Die NS-Zeit war nicht mehr sichtbar, München wurde die „Weltstadt mit Herz“.

Am ersten Tag ist das Haus voll, alles andere wäre eine weitere Blamage nach allen Bauverzögerungen und Personalquerelen gewesen. Nach kurzer Zeit bilden sich Wasserlachen im Eingangsbereich von den vielen nassen Schuhen, Schirme stapeln sich wild. Sitzgelegenheiten gibt es leider keine, was für Eltern mit Kleinkindern schwierig ist.

Den Verdacht, die Schau könne die Entstehung der NS-Zeit und die Verdrängung danach ausblenden, haben Nerdinger und sein Team gründlich ausgeräumt. Neben viel Lob und Anerkennung gibt es hier und da allerdings auch Mäkeleien. Ist die Ausstellung mit 1300 Quadratmetern zu klein, wird gefragt. Nun, sie ist kompakt, was kein Nachteil sein muss. Ist die Aufbereitung zu konventionell und wie im Geschichtsbuch? Gegenfrage: Wie hätte sie anders sein sollen? Dieser „Lernort“ richtet sich ja nicht in erster Linie an jene, die schon alles wissen.

Dann hinaus aus dem weißen Würfel. München im Schnürlregen dieses 1. Mai, Spaziergang über den Königsplatz. Jetzt weiß man endlich, was diesem Ort so lange gefehlt hat.

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