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"Eroica": Sternstunde

Beethovens "Eroica" ist so vertraut, dass selbst das Abfahrtssignal der Berliner S Bahn an den Beginn ihres ersten Themas zu erinnern scheint. Kann man so eine Sinfonie wirklich noch neu klingen lassen, so unglaublich gewagt, so an Grenzen gehend, wie Ludwig sie schrieb? Michael Gielen kann das.

Was dem Dirigenten mit der Staatskapelle in der Philharmonie gelang, war phänomenal. Zunächst beglückt es, wenn ein Tempo so nah an Beethovens Metronomangaben nicht gehetzt klingt, sondern gespannt. Und wenn acht Kontrabässe nicht dick klingen, sondern so schlank und konturiert wie die höheren Streicher, die knackige Akzente setzen und Dynamik auch auf kleinstem Raum als Bewegung realisieren, nicht einfach als laut-und-leise.

Unter den so sparsamen wie erhellenden Zeichen des 81-Jährigen entwickelte die Musik eine Mehrschichtigkeit, die alles Phrasenhafte und Kennen-wir-schon hinter sich ließ. Gielen ist an Heroik weniger interessiert als jeder andere; dass hier aber Menschliches, Zwischenmenschliches berührt wird, nicht nur als Utopie, sondern als Auseinandersetzung mit Wunsch und Scheitern, kommt einem selten so stark in den Sinn. Präzision ist die Basis: Es ist im ersten Satz zerbrechlichstes dreifaches Piano, in dem vor der Reprise die Geigen eine Dissonanz flüstern, während das Horn so tut, als sei man schon zwei Takte weiter. Die Stelle hatte nichts von dem entsetzlichen "Humor", den die Konzertführer ihr zuschreiben. Es ist eine Bruchstelle, eine leise Gewaltsamkeit, und sie öffnete einen von vielen unverhofften Ausblicken. Wie auch das wunderbare poco andante der Holzbläser im Finale: mit sanfter Rhetorik gespielt, kein bisschen gefühlig - und umso berührender. Gielen überzeugt mit der Suggestivkraft der Zurückhaltung.

Dafür liebt ihn das Orchester, das auch dem jüngeren Werk die denkbar beste Wiedergabe bescherte. Zusammen mit dem Geiger Thomas Zehetmair realisierte die Staatskapelle Elliott Carters Violinkonzert von 1990. Carter hat hier die Gelassenheit des Spätwerks noch nicht ganz erreicht und ist sich mit dichtesten Strukturen fast im Weg. Weil die aber feinster Logik folgen, lauschte man gespannt - und war darum besonders offen für eine "Eroica", die enthuasiastisch bejubelt wurde.

Volker Hagedorn

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