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Kultur: Errechnete Welt

Nach knapp zwei Jahren mit dem Fokus auf handfester Skulptur präsentiert die Junggaleristin Andrea Breitengraser erstmals eine "digitale Skulptur". Das Werk ist nur virtuell im Datenraum präsent, braucht allerdings zu seiner Visualisierung eine entsprechende Hardware.

Nach knapp zwei Jahren mit dem Fokus auf handfester Skulptur präsentiert die Junggaleristin Andrea Breitengraser erstmals eine "digitale Skulptur". Das Werk ist nur virtuell im Datenraum präsent, braucht allerdings zu seiner Visualisierung eine entsprechende Hardware. In der Galerie sind das zwei großformatige Fernsehmonitore, aber diese Präsentationsform ist nicht zwingend. Die "digitale Skulptur" ist auf einer handelsüblichen CD-ROM, die auf jedem Computer funktioniert (7890 Mark für CD inklusive aller Nutzungsrechte, 10er Auflage mit eingeschränkter Nutzung 1234 Mark).

Die Bezeichnung "digitale Skulptur" ist noch kein allgemein gebräuchlicher Begriff und sollte in keinem Falle in Analogie zur Videoskulptur à la Nam June Paik begriffen werden. Bei Videopionier Paik liefern die laufenden Monitore der Skulptur ihre Gestalt, während die Videobänder meist nur oberflächliche Farbeffekte oder visuelle Zerstreuung beisteuern. Bei Anna Kuts und Victor Dovhalyuks "BJU 360" hingegen, ist die Gestalt und der Raum pure Imagination, eine errechnete Welt, die man nur imaginär betreten kann.

Um das Eintauchen in die illusionäre Welt zu erleichtern, steht man in der Galerie zwischen den sich vis à vis gegenüber stehenden Monitoren.Viereinhalb Minuten dauert der Loop, zwei Jahre hat das Künstlerpaar aus der Ukraine dafür mit einer professionellen Software gerechnet, die auch beim Kinohit "Titanic" zu Einsatz kam.

Was die digitale Skulptur gegenüber ihrem realen Pendant eingebüßt hat, nämlich die Dimension des Raumes, wird durch die Animation von plastischen Formen im Bild versucht wettzumachen. Das multimediale, von hämmernden Technobeats begleitete Spektakel beginnt deshalb nicht zufällig mit der perspektivischen Darstellung eines dreidimensionalen Raumgitters, in dem ein kantiger Kopf schwebt. Nun leeren und füllen sich die kubisch definierten Räume in dem Gitter, um schließlich ganz von roten Klötzen aufgefüllt zu sein, in denen der Kopf verschwindet. Mit dem tektonischen Spiel von Würfeln beginnt ein dramaturgisch ausgefeilter Anschauungsunterricht über das Wesen der Skulptur. Denn nun schält sich der Kopf aus der berstenden roten Masse wieder hervor wie bei einem Bronzeguss, den man aus seiner Schalform befreit. Es folgen die mannigfaltigsten Metamorphosen des Kopfes durch Faltung, Spaltung und erneuter Verschmelzung, bis er zum dünnen Band wird, das durch Prägung das Relief eines Gesichts erhält. Es scheint, dass die virtuelle Welt in ihrer morphologischen Gestalt, also nicht in dem darunter liegenden Programm und Maschinencode, sondern in der Ikonizität ihrer Erscheinung gar nicht anders kann, als die wirkliche Welt zu kopieren. Die Technik, die die digitale Skulptur benutzt, um ihre sichtbare Oberfläche zu gestalten, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den Tätigkeiten des Bildhauers. Nur wird zum Modellieren im Datenraum die Hand weniger wichtig. Deshalb macht das Begreifen mehr Schwierigkeiten.

Ronald Berg

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