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"11-11: Memories Retold" hinterfragt die Einteilung in Freund und Feind.

© Bandai Namco Entertainment

Erster Weltkrieg: „11-11: Memories Retold“ ist ein Meilenstein des Anti-Kriegsspiels

Das Game „11-11: Memories Retold“ zeigt die Gräuel des Ersten Weltkrieges. Der Grafikstil erinnert an Werke von Monet und Turner.

Der überzeugte Imperialist Rudyard Kipling konstatierte schon zu Zeiten der britischen Kolonialkriege: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Desinformation und Lügen sind heute mehr denn je ein Teil der Kriegführung: Wer die Macht über Bilder und Berichte hat, kann so ziemlich alles als Wahrheit verkaufen. Was aber, wenn wir selbst zum Filter der Kriegshandlungen werden? Das ist eine der Fragen, die das Computerspiel „11-11: Memories Retold“ stellt – 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs.

Es gibt nicht viele Computerspiele, die Kriegshandlungen grundsätzlich hinterfragen. Blockbuster wie „Call of Duty“ und „Battlefield“ betonen zwar die Einzelschicksale, die hinter jeder Schlacht stehen. Gleichwohl ist das Pathos dieser Spiele schwer erträglich, zumal der Spielfortschritt immer noch an das massenhafte Töten von Gegnern gekoppelt ist. Zu den löblichen Ausnahmen zählt „This War of Mine“, das Bürgerkriegsopfer in den Mittelpunkt stellt. Oder „Valiant Hearts: The Great War“, das eindringlich die Schrecken des Ersten Weltkriegs zeigt, indem es vier Beteiligten folgt. Das von den Aardman Studios („Wallace and Gromit“) und DigixArt produzierte „11-11: Memories Retold“ ist ein weiterer Meilenstein des Antikriegsspiels.

Die Sprecherrollen übernehmen Sebastian Koch und Elijah Wood

Die Handlung folgt zwei Teilnehmern des Ersten Weltkriegs: dem deutschen Zeppelin-Ingenieur Kurt und dem kanadischen Fotografen Harry (Synchronsprecher: Sebastian Koch, Elijah Wood). Sie sind aus ganz unterschiedlichen Gründen in den Krieg gezogen: Kurt ist auf der Suche nach seinem Sohn, der möglicherweise bereits gefallen ist; Harry will seiner Jugendliebe Julia imponieren – und lässt sich deshalb vom schneidigen Major Barrett als Kriegsfotograf anheuern. Die Wege von Harry und Kurt kreuzen sich erstmals in der Schlacht von Vimy: An diesem strategisch wichtigen Höhenzug in Nordfrankreich führten britische und kanadische Soldaten 1917 einen zähen Stellungskrieg gegen deutsche Truppen. Als die alliierte Offensive beginnt, stehen sich Harry und Kurt plötzlich in einem verschütteten Bunkertunnel gegenüber – als Menschen, nicht als Feinde.

Geschickt verknüpft „11-11“ die Sichtweisen der beiden Hauptfiguren. Nach jedem Handlungsabschnitt kann der Spieler wählen, wessen Rolle er übernehmen möchte, teils wechselt das Spiel die Perspektive automatisch. Man steuert Harry bei seinen ersten Aufträgen: Für Major Barrett soll er Heldenfotos schießen. Das müssen Gamer auch tun, wenn sie vorankommen wollen. Freie Motivwahl hat Harry hingegen bei den Fotos, die er per Feldpost an seine geliebte Julia schickt.

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Ähnlich ist die Situation für Kurt, der an der Front als Mechaniker arbeitet – und der seiner Frau und seiner kleinen Tochter Briefe schickt: Er kann seine teils grausamen Erlebnisse ungeschminkt schildern oder es bei Andeutungen und hoffnungsvollen Aussagen belassen. Welche Version der Ereignisse man liefert, hat Auswirkungen auf den Handlungsverlauf – allerdings deutlich weniger, als das Spiel zunächst vermuten lässt. Viel wichtiger ist, wie sehr das Fotografieren und Briefeschreiben für das Erlebte sensibilisieren.

Darin liegt die große Stärke dieses Spiels: den Krieg seiner propagandatauglichen Dramaturgie zu entkleiden. Statt im Stile von „Battlefield“ durch die Gegend zu ballern, werden Funkstationen repariert, Karten gespielt oder einfach zugehört, was die Soldaten im Schützengraben erzählen. Die Routineaufgaben mögen spielerisch anspruchslos sein, sie unterstreichen aber die zermürbende Banalität des Abwartens und Stellunghaltens. Die Gewalt bricht dann um so stärker ins Geschehen ein.

Erheblichen Anteil an diesem harten Kontrast hat die impressionistische Grafik des Spiels: Man meint, sich durch ein Gemälde von Monet oder Turner zu bewegen. Die flimmernden Konturen und farblich changierenden Oberflächen bringen eine Unschärfe ins Spiel, die tieferen Eindruck hinterlässt als so manche auf Realismus bedachte Grafik: Bei „11-11“ entsteht das Grauen erst im Kopf des Betrachters. Viele Einstellungen, etwa ein von Mohnblüten übersätes Schlachtfeld, sind so unwirklich schön, dass sich Vergleiche zu Terrence Malicks filmischer Antikriegsmeditation „Der schmale Grat“ auftun.

Zeitweilig verlässt das Spiel komplett die menschliche Perspektive: Nämlich dann, wenn wir eine Katze oder eine Taube steuern, mit denen sich Kurt und Harry angefreundet haben. Die Tiere lenken Gegner ab, erkunden das Gelände oder apportieren Dinge; vor allem aber trägt ihre Friedfertigkeit zur Absurdität des Kriegsgeschehens bei. Wie Kurt und Harry gehören sie eigentlich nicht an diesen Ort, an dem Menschen als Kanonenfutter dienen und viele Schicksale unerwähnt bleiben.

„11-11: Memories Retold“ ist für Playstation 4, Xbox One und PC erhältlich. Preis: 25 Euro. USK-Altersfreigabe: ab 12 Jahren.

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