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In Matthias Heines Sachbuch spielt auch Thilo Sarrazins Urgroßonkel Otto eine Rolle.

© Barbara Dietl

Erster Weltkrieg: Wie die deutsche Sprache an Prestige verlor

Hot Dog statt Frankfurter: Matthias Heine zeigt in „Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsland“, dass der Erste Weltkrieg auch ein Sprachkrieg war.

Auch die deutsche Sprache strebte vor 1914 nach Weltgeltung. Als Nachzügler in Sachen Kolonialismus hatte das Deutsche Reich Gebiete in Afrika und im fernen Pazifik erworben, deren Verwaltung und Erschließung zwar – Bismarcks Befürchtung – mehr kostete, als sie einbrachten, aber der wilhelminischen Benennungslust viel Spielraum gaben: Der Nordosten von Neu-Guinea firmierte ab 1885 als Kaiser-Wilhelmsland, auch wenn es nur wenige Deutsche dorthin verschlug: Christian Krachts Roman „Imperium“ vermittelt davon einen schönen Eindruck. Der Deutschunterricht dort und in den anderen Kolonien hatte nicht nur Befürworter, sondern auch entschiedene Gegner, die befürchteten, dass die Einheimischen durch das Lesen deutscher Zeitungen und das Belauschen von Gesprächen an Informationen gelangen würden, die sie für Verschwörungen nutzen konnten.

Kinder einer Missionsschule auf der Südsee-Insel Neupommern entwickelten eine Variante des Deutschen, die sich das „Kaputtene Deutsch“ oder „Unserdeutsch“ nannte. Heute beherrschen sie noch etwa hundert Menschen in Rabaul, die in jüngster Zeit viel Besuch von Sprachwissenschaftlern bekommen. Denn „Unserdeutsch“ ist die einzige (noch) existierende deutsche Kreolsprache. Hätte der Erste Weltkrieg nicht stattgefunden, der dem deutschen Kolonialismus ein rasches Ende bereitete – heute würde es womöglich eine Vielfalt deutscher Kreol-Sprachen geben, und vielleicht wäre es cool, Hip-Hop aus Kaiser-Wilhelmsland zu hören.

Zum Ersten Weltkrieg hat sich in den letzten Jahren ein ganzer Bücherberg in die Höhe gewölbt. Aus sprachgeschichtlicher Sicht wurde die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts bisher aber noch nicht in den Blick genommen. Dabei ist das Thema ergiebig, wie nicht nur diese Episode aus Matthias Heines Buch „Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsland“ zeigt.

Boykott gegen deutsche Wissenschaftler

Denn der Erste Weltkrieg war auch ein Sprachkrieg. Deutsch galt bald als Hunnenidiom, als Sprache der Pickelhaube. In vielen Regionen der Welt störte man sich plötzlich an deutsch klingenden Ortsnamen. In Ontario, Kanada, wurde die Stadt Berlin, in der zum großen Teil deutsche Migranten lebten, gegen deren Willen 1916 auf den Namen Kitchener umgetauft – nach dem keineswegs unumstrittenen britischen Kolonialkrieger Herbert Kitchener. Der Prestigeverlust zeichnet sich auch in den Zahlen der Schüler ab, die in den Vereinigten Staaten Deutsch lernten. 1915 waren es noch 25 Prozent; nach dem Ersten Weltkrieg war Deutsch praktisch aus dem Schulalltag verschwunden. Die Sprache wurde aus dem öffentlichen Raum und den Medien verbannt.

Aus der Germania Life Insurance Company, einem der größten Versicherungsunternehmen Amerikas, wurde durch die Veränderung weniger Buchstaben die Guardian Life Insurance Company. Und weil der Sauerkraut-Verkauf einbrach, wurde das germanische Kohlgemüse vorübergehend in Liberty Cabbage umbenannt. Und das Wurstbrötchen hieß nicht mehr „Frankfurter“, sondern „Hot Dog“.

Dergleichen mag man als kuriose Marginalien des Sprachkriegs werten. Heine stellt aber auch gravierende Umbrüche dar. So büßte Deutsch die im 19. Jahrhundert gewonnene Position als führende Wissenschaftssprache ein; Englisch galt um 1900 ja eher als Sprache des Welthandels, Französisch als die der Diplomatie. Noch 1919 waren von den insgesamt 289 Fachzeitschriften der Biologie 169 auf Deutsch verfasst, nur 49 auf Englisch. Dann aber ging es mit dem Prestige der Sprache der angeblich Alleinkriegsschuldigen steil bergab. Britische und französische Forschungsnetzwerke organisierten einen Boykott gegen deutsche Wissenschaftler; diese gezielte Exklusion war allerdings nur einer unter mehreren Gründen für den Bedeutungsschwund.

Zuvor war die Germanisierung vorangetrieben worden

Auch in der Schweiz kam es zum linguistischen Bruch mit Deutschland. Die zuvor immer weiter zurückgedrängte Mundart wurde plötzlich identitätsstiftend und nahm einen unerhörten Aufschwung, der sich bis heute fortsetzt. In Osteuropa wurde die deutsche Sprache zum Vehikel der Symbolpolitik und des Nationalitätenstreits. In den nach 1918 neu (oder wieder) gegründeten Staaten wie Polen wurden die Deutschen zu schikanierten Minderheiten, deren Sprachpflege eingeschränkt und behindert wurde.

Matthias Heine verschweigt aber nicht die Vorgeschichte. In diesen Gebieten war zuvor, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die Germanisierung stark vorangetrieben worden, was dann eben bedeutet hatte: Kein Schulunterricht auf Polnisch. Er schildert den Eifer der deutschen Sprachvereine und auch mancher Einzelkämpfer der Eindeutschung um 1900, darunter der Urgroßonkel von Thilo Sarrazin, der preußische Baurat Otto Sarrazin, dem die deutsche Sprache ehrwürdige Wörter wie Fahrkarte, Bahnsteig oder Zugabteil verdankt. Vorher alles Fremdworte: Billet, Perron, Coupé.

Matthias Heine gelingt es, viele Sprach-Geschichten zu einem überzeugenden Panorama des Umbruchs zu verbinden. Dies ist ein schmales Buch, das das Wissen um die Hintergründe der deutschen Sprache und ihrer Entwicklung sehr erweitert.

Matthias Heine: Letzter Schultag in Kaiser-Wilhelmsland. Wie der Erste Weltkrieg die deutsche Sprache für immer veränderte. Hoffmann und Campe, Hamburg 2018, 222 S., 16 €

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