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Kultur: Es gilt das gesprochene Wort

Eine einfache, hoch dramatische Sache. Schauspieler halten Politikerreden.

Eine einfache, hoch dramatische Sache. Schauspieler halten Politikerreden. Schauspieler, darin geübt, sich zu verstellen, dem Publikum Träume und Geschichten vorzuzuführen, lassen alles Spielerische fahren und tragen Sätze von Präsidenten und anderen militärisch-politischen Führern vor, die die Welt veränderten. Erklärungen, Reden, Worte, die über Leben und Tod entscheiden - entschieden haben, nach dem 11. September.

Ein einfaches Arrangement: Auf dem Podium steht ein Pult, davor ein Mikrofon, dahinter mal ein Mann, mal eine Frau, und das Publikum im Saal folgt gebannt ihren Ausführungen, als würden hier frische Staatsgeheimnisse verraten. Dabei handelt es sich um jene rhetorischen Peitschen und Endlosschleifen, die nach dem 11. September eine beinahe weltweite Monokultur in den Medien erzeugten. Das einzige Medium an diesem Abend im Gemeindehaus der St. Elisabeth-Kirche in Berlin-Mitte ist der Schauspieler: das Wort.

Schon die Wendung nach dem 11. September mag man kaum mehr hören. Stories aus New York und Afghanistan befinden sich im Abschwung. Die K-Frage hat die Frage von Krieg und Frieden abgelöst. Und doch, deshalb: Über fünfhundert Menschen drängt es zu diesen "Speeches", die der Berliner Regisseur Patrick von Blume in Privatinitiative organisiert hat. Lesung? Performance? Kabarett? Tribunal? Nichts von alledem. Der einmalige Auftritt der "Redner" wirkt wie eine Wahrheitsdroge. Man hört, was man zu kennen glaubt. Und man hat das meiste schon wieder vergessen, verdrängt, einsortiert, nach dem 11. September. Man weiß nach diesen gut zwei Stunden, in denen einem manchmal Hören und Sehen vergeht, nicht mehr, was banaler ist - die äußerste Kurzlebigkeit des Schreckens und der Debatten oder die Drohungen und Rechtfertigungen, die den Kriegsherren und Friedensfürsten über die Lippen kommen.

Es ist eine makabre Erfahrung - so völlig bilderlos zu denken, ohne Fernsehen, ohne Schlagzeilen, ohne Moderation. Angela Winkler, Peter Zadeks "Hamlet"-Darstellerin, leiht den Reden von George W. Bush ihre leicht zitternde Stimme, und man spürt, wie sich etwas in ihr würgend umdreht, wie sie den inneren Widerstand gegen das Gesagte unterdrückt. Die Schauspieler, so das Prinzip der "Speeches", sollen ihren Text nicht kommentieren, nicht denunzieren, nicht interpretieren; egal, wer spricht, egal, was gesagt wird. Das ist schwer durchzuhalten. Nino Sandow, der Berlusconis Ideen von der Überlegenheit der westlichen Zivilisation zu Gehör bringt, reißt das Ungeheuerliche in die Karikatur. Jutta Wachowiak aus dem Ensemble des Deutschen Theaters Berlin nimmt sich eisig und klar Saddam Husseins Worten an: Plötzlich spricht da nicht der Diktator, der Erzfeind Amerikas, sondern, so denkt man einen Moment, ein kluges, zivilisiertes Hirn. Ein verführerischer Märchenerzähler.

Entkleidet jeglicher Bildhaftigkeit und Symbolik, aus dem Kontext des Visuellen genommen, fällt den Zuhörer blanke Rhetorik an. Als hätten Bilder von Fahnen und Kriegsschiffen, von Soldaten und Flugzeugen, ohne die man diese Reden nicht kennt und sonst nicht erlebt, eine beruhigende Wirkung. Der Verfremdungseffekt - und die Nacktheit - der "Speeches" ist außerordentlich beunruhigend. Ein jüngerer Mann mit Anzug und Krawatte und etwas schmieriger Mimik (Stephan Lohse) spricht den Text von Osama bin Laden, der von dem islamischen CNN-Pendant Al Dschasira mit dem ersten der bin Laden-Videos ausgestrahlt wurde. Mit einem Mal scheint die Terror-Ikone einer von uns zu sein: Weil er weder Bart noch Turban noch Waffen trägt. Und weil er hier klingt wie ein perfider westlicher Politiker.

Gut und Böse, Zivilisation und Gott: Die hohen Worte tönen unisono wiederkehrend auf allen Seiten der Front. Der nächste Clash wetterleuchtet bereits. Kanzler Schröders Wort vom "Kampf um Kultur" (die Bundestagsrede vom 19. September hält Dominik Bender) berührt einen da noch vergleichsweise zahm und zivil. Als Helfer den bald 90-jährigen Ernest Lenart auf das Podium geleiten, einen jüdischen Schauspieler und Emigranten, verändert sich die Wahrnehmung. Der Greis liest Arafat: ruhig und eindringlich. Damit werden Sympathien verteilt - zumal Miriam Goldschmidt den britischen Premier Tony Blair mit resoluter Komik als beflissenen Adjutanten Bushs darbietet. Das ist dann doch: Theater. Glänzend, aber grenzwertig. Denn es ist im Gegenteil die kaum erträgliche Disziplin der Speaker, die einen mit der fundamentalen Ahnung entlässt, dass im Anfang in der Tat das Wort ist. Und, mit Bushs jüngster Brandrede im Ohr, dass kein Wort zurückgenommen werden kann. Polemisch kommt vom altgriechischen polemos: Krieg.

Rüdiger Schaper

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