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Kultur: Es grünt so grün, wo Englands Blüten blühen

„Nicholas Nickleby“ von Douglas McGrath hat alles, was eine Charles-Dickens-Verfilmung braucht: Kostüme, Herzschmerz, schöne Helden – und mit Christopher Plummer einen wunderbaren Bösewicht

Es war eine der ersten Dickens-Verfilmungen überhaupt: Schon 1903 hatte der britische Stummfilm-Regisseur Alf Collins sich die Leidensgeschichte der Familie Nickleby vorgenommen. Nun erscheint, gut 100 Jahre später, ein Film, in dem sich nicht viel geändert hat. Immer noch ist das Gras üppig, der Mensch schlecht, die Armut erdrückend und die Kostüme opulent.

Auch der Plot bewegt sich auf der Höhe eines Stummfilm-Melodrams: Der 19-jährige Nicholas Nickleby, nach dem Tod des Vaters mit der Verantwortung für Schwester und Mutter bedacht, verdingt sich als Hilfslehrer in der Schule „Dotheboys“ in Yorkshire, die sich als finstere, gefängnisähnliche Verwahranstalt für ungeliebte Kinder erweist. Nicholas, edelmütig und sanft, wagt die Rebellion gegen den tyrannischen Schullehrer, flieht gemeinsam mit dem misshandelten Schuldiener Smike, arbeitet kurzfristig als Schauspieler bei einer Wandertruppe und triumphiert im Showdown gegen seinen bösen Onkel Ralph, einen Wucherer und Geizhals, der die Familie ins Unglück gestürzt hat. Die Hand der schönen Madeleine (Anne Hathaway) ist sein wohlverdienter Lohn.

Der britische Regisseur Douglas McGrath hatte sich schon 1996 durch die Verfilmung von Jane Austens „Emma“ mit Gwyneth Paltrow empfohlen. Auch seine Version von Charles Dickens drittem Roman ist beste Familienunterhaltung – und geht davon aus, dass zumindest der englischsprachige Zuschauer Dickens aus dem Eff-Eff kennt. Was nicht so schwierig ist: Dickens-Verfilmungen sind im britischen Fernsehen Tradition, und jede neue Serie wird mit Spannung erwartet. Die Protagonisten werden begrüßt wie alte Bekannte – und mit ihren Vorgängern verglichen. Und für britische Film- wie Theaterschauspieler ist es eine hohe Ehre, bei einer Dickens-Verfilmung mitzuspielen.

Von diesem Traditionsbewusstsein zeugt auch dieser Film in exzellenter Besetzung: Dickens’ skurrile Nebenfiguren wie den widerspenstigen Diener Noggs (Tom Courtenay), den brutalen Internatsleiter Mr. Squeers (Jim Broadbent) mit seiner nicht minder hartherzigen Frau (Juliet Stevenson) oder den exzentrischen Theaterdirektor Crummles (Nathan Lane) malt er drastisch aus. Der verkrüppelte Schuldiener Smike (Jamie Bell, Hauptdarsteller aus „Billy Elliot“) ist eine Mitleid erregende Gestalt, und die beiden Geschwister Nickleby, Kate (Romola Garai) und Nicholas, (Charlie Hunnam) sind so engelhaft blond und gut, dass man es sich langweiliger nicht vorstellen kann.

Und doch hält der Film eine Überraschung bereit. Er kreist, wie Dickens’ Roman auch, im Kern weniger um das Schicksal der braven Geschwister, sondern um die Figur des bösen Onkels Ralph Nickleby. Dessen düster viktorianisches Haus, angefüllt mit Schatztruhen, Herrenmöbeln und Vitrinen voller ausgestopfter Tiere, ist der rechte Gruselrahmen für einen Bösewicht von Shakespeare’schem Ausmaß.

Doch Christopher Plummer macht aus Ralph Nickleby die einzig interessante Gestalt des Films. Wie in dessen geldgierigem Blick plötzlich, zart und sofort wieder unterdrückt, Sympathie für seine Nichte Kate aufkeimt, die er kurz vorher an seinen Geschäftspartner verschachert hat, ist ein schauspielerisches Meisterstück – und tausendmal eindrucksvoller als das Ende in Tod und Verdammnis, das der buchgetreue McGrath natürlich nicht ausgelassen hat. Ralph Nickleby ist nicht der Teufel, höchstens ein ziemlich desillusionierter Realist, der in seinem Leben nicht viel Gutes erfahren hat. „Jede Familie braucht einen Helden“, ist der Slogan, mit dem der Film beworben wird. Hier ist der Held der Bösewicht.

In Berlin in den Kinos Balazs, Cinemaxx Potsdamer Platz, CineStar Sony-Center (OV)

Christina Tilmann

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