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Die Synagoge in Essen bot einst 1500 Gläubigen Platz.

© ddp

Essener Kulturmeile: In diesen heiligen Hallen

Essen steht im Zentrum der "Ruhr 2010", nicht nur geografisch. Mit einem klug konzipierten "Haus der jüdischen Geschichte" vollendet die Stadt ihre Kulturmeile.

Das Herz der Kulturhauptstadt schlug von Anfang an in Essen. Es war Oliver Scheytt, der langjährige Kulturdezernent der Stadt, der das Projekt in Richtung Brüssel ins Rollen brachte. „Essen für das Ruhrgebiet“ hieß der Slogan noch beim Bewerbungsverfahren, erst nach dem Titelgewinn kam die Idee auf, das EU-Jahr dafür zu nutzen, um aus den 53 Städten des Reviers eine – zumindest gefühlte – Metropole zu machen.

„Ruhr 2010“ nennt man sich nun also – doch Essen steht weiter im Zentrum, nicht nur geografisch: Trotz ihrer desaströsen Finanzlage hat es die Stadt bislang geschafft, ihre grand projets durchzuziehen. Auf der Zeche Zollverein beispielsweise hat Rem Koolhaas die ehemalige Kohlenwäsche umgebaut und sein Kollege HG Merz eine faszinierende neue Präsentation der Schätze des RuhrMuseums installiert. In Bochum dagegen scheiterte der Plan, den dortigen Symphonikern endlich eine eigene Spielstätte zu schaffen, die Umwandlung der Dortmunder Union-Brauerei in ein Zentrum für Neue Medienkunst wird erst im Herbst abgeschlossen sein, in Duisburg kann die Erweiterung des Museums Küppersmühle durch die Architekten Herzog & de Meuron erst nach dem Ende des Kulturhauptstadtjahres eingeweiht werden.

Gleich zu Beginn von „Ruhr 2010“ hatten die Essener mit dem umgestalteten Folkwangmuseum prunken können: Der elegante Anbau von David Chipperfield löste einhelligen Jubel auslöste. Erst jetzt allerdings, wo auch der 1960 entstandene Altbau nach einer technischen Modernisierung wieder für die Öffentlichkeit zugänglich ist, wird wirklich sichtbar, mit wie viel Fingerspitzengefühl der britische Architekt sein Projekt in das bestehende Ensemble eingefügt hat. In der Tradition der klassischen Moderne hatte Werner Kreutzberger den Ersatz für das im Krieg zerstörte erste Folkwangmuseum errichtet, in maximaler Funktionalität gruppieren sich die Räume um zwei Innenhöfe, große Fensterflächen sowie Oberlichter lassen viel Tageslicht herein. Chipperfield hat diese Ästhetik aufgegriffen, weitere Höfe mit geradezu skulpturaler Bepflanzung geschaffen, so dass der Besucher jetzt durch eine Flucht lichter Hallen schreitet. Allein am Bodenbelag ist der Übergang vom Neubau zum Altbau wahrzunehmen.

Wählt man das Folkwangmuseum als Ausgangspunkt, stellt sich die Essener Innenstadt-Kulturmeile bananenförmig dar: Von hier aus geht es in nordöstlicher Richtung vorbei am jüngst akustisch optimierten Saalbau und dem Opernhaus von Alvar Aalto zur neuesten Attraktion, dem Mitte Juli eröffneten „Haus der jüdischen Kultur“ in Essens ehemaliger Hauptsynagoge. Ein Parcours, der ein bequemer Spaziergang sein könnte, wäre die Stadt in den sechziger und siebziger Jahren nicht so autofreundlich zugerichtet worden. Der massiven Fahrbahnerweiterung am Porscheplatz fiel damals auch die Säulenvorhalle der Synagoge zum Opfer. Eine echte Modernisierungssünde, wenn man bedenkt, dass dieses jüdische Gotteshaus den Krieg äußerlich nahezu unbeschadet überstanden hatte.

Der Innenraum war in der Pogromnacht zerstört worden, die Außenhülle des monumentalen, zwischen Jugendstil und Orientalismus oszillierenden Monumentalbaus von 1913 blieb wie durch ein Wunder von Bomben verschont. Das bereitete den Stadtvätern in den fünfziger Jahren durchaus Kopfzerbrechen. Nach Jahren des Leerstands wurde hier 1961 das „Haus Industrieform“ untergebracht. Erst seit 1980 dient die Synagoge als Gedenkstätte. Dank des Kulturhauptstadtjahres konnten jetzt 7,4 Millionen Euro investiert werden, in eine Restaurierung einerseits, die nachträgliche Ein- und Umbauten rückgängig gemacht hat, und andererseits in ein neues Ausstellungskonzept, das die Geschichte des Gebäudes dokumentiert, vor allem aber die Besucher mit dem jüdischen „way of life“ vertraut machen möchte.

Am Eingang bekommt man einen Audioguide, mit dem man sich nicht die Exponate erklären lassen kann, sondern einen Soundtrack zur Besichtigung bekommt. Während der Blick durch die weite Halle schweift, während man über die Ebene oberhalb des Tora-Schreins schreitet oder an den Schaukästen entlangflaniert, die auf der Frauenempore platziert sind, kann man Musik von der traditionellen jüdischen Weise bis zum Musical „Anatevka“ auswählen, sich Bonmots berühmter Juden anhören oder Zeitzeugen lauschen, die vom faszinierend vielfältigen Synagogen-Leben vor 1938 berichten. „Ich möchte den Trauerflor über dem Haus lüften, den allein rückwärts gewandten Blick überwinden“, erläutert die Leiterin Edna Brocke.

So pragmatisch-praxisorientiert, wie hier die traditionellen Feste veranschaulicht werden, so spielerisch, wie die widersprüchliche Vielfalt jüdischer Lebensformen präsentiert wird, kann dieses Haus gerade auch junge Menschen neugierig darauf machen, in die Welt der 613 Mitzwot, der Ge- und Verbote der Tora, einzutauchen.

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