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Kultur: Etwas ist faul im Staate

Mythen und Religion, Law and Order, Bush und Bühne: der Theatermagier Bob Wilson im Gespräch

Mister Wilson, Sie stammen aus Texas, wie die BushFamily. Können Sie uns Texas erklären?

Well, Texas ist ein bisschen so wie Deutschland. Law and Order. Ich war als Student einmal in einem griechischen Gefängnis, wegen einer Drogengeschichte. Da rief ich meinen Vater zuhause an, er war Anwalt, und bat ihn um Hilfe. Er sagte: Wenn du etwas angestellt hast, dann geschieht es dir recht. Gesetz ist Gesetz. In Texas denkt man streng in schwarz-weißen Mustern. Good guys, bad guys.

Bedeutet Ihnen Heimat etwas?

Sie finden überall in meinem Werk meine texanischen Wurzeln – den weiten texanischen Himmel, die Landschaft. Wenn du in Brooklyn geboren bist, dann hast du die Brooklyn Bridge in deinem Kopf.

An der Staatsoper Unter den Linden haben Sie letzte Woche – exklusiv für das Unternehmensjubiläum von McKinsey – Schönbergs „Erwartung“ mit Anja Silja inszeniert. Gibt es Pläne für eine neue, reguläre Produktion in Berlin?

Im nächsten Jahr werde ich am Berliner Ensemble ein Shakespeare-Projekt machen, entweder „Ein Wintermärchen“ oder die Sonette.

Sie wechseln zwischen den Kulturen wie ein Chamäleon und bleiben doch immer – Bob Wilson. Was waren in diesem Jahr Ihre zentralen Projekte?

An der Comédie Francaise in Paris habe ich die „Fabeln“ nach LaFontaine inszeniert. Eine interessante Erfahrung. Ich dachte, dass man dort noch stärker in der formalen Tradition des 17. Jahrhunderts steht. Doch zu meiner großen Überraschung denken die Franzosen im Theater in psychologisch-naturalistischen Formeln, was für mich oft ein Problem ist, auch in Deutschland. Ich gehe immer von der Bewegung aus, vom Körper, von der Abstraktion. Nun, am Ende steckten die Schauspieler alle in Tierkostümen.

Sie waren schon immer eng dem asiatischen Theater verbunden. Sie sind Amerikaner – und begierig, fremde Kulturen zu verstehen. Es gibt kaum eine Kultur, die Ihnen fremd wäre. Woher dieser Drang?

In Indonesien habe ich, zum ersten Mal überhaupt, „I La Galigo“ auf die Bühne gebracht, eines der größten Epen der Menschheit, dreieinhalbmal so lang wie das indische „Mahabharata“. Der Originaltext wird auf 9000 Seiten geschätzt, er wurde im 15. Jahrhundert niedergeschrieben nach einer uralten mündlichen Überlieferung, das meiste davon ging verloren. Es ist die Geschichte von Königen und von der Erschaffung der Welt. „I La Galigo“ stammt von den Sulawesis, den ersten Seefahrern und Entdeckern. Nur eine Handvoll Menschen auf der Welt kann diesen Text heute noch lesen. Mit dreißig indonesischen Tänzern habe ich „I La Galigo“ inszeniert, die Premiere war im März in Singapur. Ich fühle mich diesen indonesischen Tänzern näher als dem klassischen französischen Theater oder dem Berliner Ensemble.

Ihre Arbeit schöpft aus diesen Quellen. Sie kennen nichts „Exotisches“. Sie sind auf Ihre Art ein Konservator, ein Archäologe.

Das alles ist viel wichtiger als eine Operninszenierung in Paris oder Berlin. Eines der größten Probleme dieser Welt ist das Sterben der Kulturen. In spätestens 25 Jahren werden sämtliche Sprachen und Traditionen der Eingeborenen verschwunden sein. In Borneo, in Polen, überall.

Seltsam: Der Kulturbetrieb sucht nach religiösen Stoffen überall in der Welt. Nur das Christentum, sieht man einmal von Oberammergau ab, taucht praktisch nie auf der Bühne auf. Obwohl nach dem 11. September viel die Rede war von einer Rückkehr zur Religion.

Eine religiöse Zeremonie auf der Bühne wäre ein Sakrileg. Das würde ich nie machen. Spiritualität ist etwas anderes. Richard Wagners „Parsifal“ kann ein spirituelles Erlebnis sein. Was die Menschen nach dem 11. September zusammengebracht hat, war das Spirituelle. Ich habe im letzten Jahr für die Ruhr-Triennale „The Temptation of St. Anthony“ nach Flaubert inszeniert, mit der Musik von Bernice Johnson Reagon. Sie greift auf die afroamerikanischen Spirituals bis ins 17. Jahrhundert zurück. Das sind die Wurzeln von Blues, Jazz, Rap, Rock, Elvis Presley, Bruce Springsteen. Diese schwarze Musik kennt keine Negativität, keine Klage, es geht immer um Hoffnung. Es hat nichts mit Politik oder Religion zu tun. Es geht viel tiefer. Religion und Politik trennen die Menschen. Es ist falsch, wenn George Bush sagt – ohne nach den Gründen zu fragen –, wir müssen den Terrorismus bekämpfen, du hast Unrecht, und ich habe Recht.

Sie reisen ständig durch die Welt. Haben Sie in letzter Zeit erlebt, dass man Ihnen als Amerikaner feindselig begegnet?

In den letzten drei Jahren war ich viele Male in Indonesien, dem Land mit der größten moslemischen Bevölkerung der Welt. Natürlich haben diese Menschen Probleme, mich als Amerikaner zu verstehen. Als George Bush letzten Herbst Indonesien besuchte, war er schockiert über die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlug – dass man ihn als Moslem-Feind sieht. Wir reden über den Irak. Aber schauen wir nach Indonesien! Dort gibt es eine Demokratie! Warum unterstützen wir nicht diese fragile Demokratie in einem moslemischen Land? Warum stecken wir unser Geld, unsere Ressourcen nicht in dieses Land?

Politisch gelten Sie als eher zurückhaltend. Was tun Sie in der gegenwärtigen Situation, als Künstler?

Wissen Sie, was es bedeutet, einen jungen Mann aus Indonesien, einen Moslem, in die USA zu bringen? Es ist nahezu unmöglich. Weil er ein Moslem ist. Ich habe vor drei Jahren, nach langem Kampf mit der US–Bürokratie, einen Studenten aus Jakarta an die Harvard Business School gebracht. Und als er letzten Winter wieder in die USA einreisen wollte, um sein Studium abzuschließen, bekam er kein Visum. Weil er ein Moslem ist. Weil er helfen will, sein Land aufzubauen? Klar, man kann im Irak einmarschieren, und der Rest der Welt ist dagegen. Eine andere Sache ist es, in die Zukunft zu investieren und eine bereits bestehende Demokratie zu unterstützen, die um ihr Überleben kämpft. Die Amerikaner kippen so viel Geld nach Kolumbien. Wozu?

Wie haben Sie auf Bruce Springsteens Artikel in der „New York Times“ reagiert, in dem er sich für die amerikanischen Werte – und gegen Bush ausspricht?

Fantastisch. Ein großartiger Text, einfach und klar. Der Mann ist intelligent und gereift. Das ist ein Kampf für Demokratie, und das geht sehr tief. Springsteens Engagement wird sich auch in seiner Musik niederschlagen, da bin ich mir sicher. Bruce Springsteen kämpft für Amerika.

Warum schließt sich Amerika immer mehr ab gegen die Welt?

Amerikaner reisen nicht. Amerika kennt keine Grenzen. Wir leben in diesem riesigen Land, und wir wurden nie angegriffen. Wir kennen nicht einmal Mexiko. George Bushs erste Auslandsreise als Präsident führte ihn – nach Mexiko. Als ich den „Hamlet“ machte, eine Koproduktion von Houston mit europäischen Bühnen, hieß es in Houston: Oh, wir fahren nach Paris. Wir reisen ins Ausland. Ich bin nie auf die Idee gekommen, dass Paris im „Ausland“ liegt. Wir haben eine Invasion in Grenada gemacht, aber es hätte auch Grönland sein können. Wir haben keine Ahnung, wo Grenada liegt.

Iran? Irak? Hat George Bush nicht auch Slowenien mit der Slowakei verwechselt?

Am 10. September 2001 hielt ich eine Lecture in Stockholm. Ich sagte: Solange Saddam Hussein nicht eine Bombe auf New York wirft, wissen wir nicht, wo er lebt. Am nächsten Tag kam der Angriff.

Aber nicht von Saddam.

Offensichtlich nicht. Was ich mit dem Watermill Centre auf Long Island versuche – ich will eine Tür offen halten in Amerika. Es ist unglaublich schwer. Ich wollte eine Gruppe junger kubanischer Künstler zu einem Workshop einladen. Nicht einer bekam ein Visum. Ich habe mit Fidel Castro gesprochen, von kubanischer Seite war alles klar. Aber die Vereinigten Staaten von Amerika haben keine Visa herausgegeben. Ich habe Laura Bush angerufen, es dauerte ein halbes Jahr, bis das Gespräch zustande kam. Keine Visa!

Woher diese Angst, dieser Kleinmut?

Die Amerikaner haben nie eine Invasion erlebt. Franzosen und Deutsche kennen einander. Sie verstehen Grenzen. Sie wissen, was Nachbarn sind.

Glauben Sie, dass sich mit einem Präsidenten Kerry Wesentliches verändern würde?

Etwas würde sich schon ändern. Das Irak-Museum, das Haus nationaler Schätze, wird geplündert. Und was sagt Rumsfeld? Er sagt: Sie haben eine Menge Zeug gestohlen. Ja, eine Menge Zeug! Die Ölfelder sind bewacht. Das Museum nicht. Was bleibt von der Kultur, von der chinesischen, ägyptischen, mesopotamischen Geschichte, von den Mayas? Das, was Künstler geschaffen haben.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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