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Foto: Bernd Weissbrod, dpa

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Eugen Drewermann: Sturkopf

An Eugen Drewermann scheiden sich die Geister auf dem postmodernen Orientierungsmarkt. Zum 70. Geburtstag des Theologen und Psychoanalytikers.

Berüchtigt sind seine Pullis, die an härenes Büßerkleid erinnern, sein sanfter Singsang coram publico. Er lebt zwar im Trubel von Paderborn, aber ohne Auto, Telefon, Computer, was ihn nicht hinderte, mehr Bücher zu veröffentlichen, als er Jahre zählt. Der Bergmannssohn hatte zunächst Theologie und Tiefenpsychologie studiert; auf seine Habilitationsschrift „Strukturen des Bösen“ (1978) folgte die Psycho-Deutung Grimmscher Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ (1981) und eine dreibändige Studie „Psychoanalyse und Moraltheologie“ (1984). Der Dogmen-Umdeuter verliert seine Lehrerlaubnis (1991) und Predigtbefugnis (1992), wird als Priester suspendiert. An seinem 65. Geburtstag verlässt er die katholische Kirche, was er ein halbes Jahr später, Weihnachten 2005, in „Menschen bei Maischberger“ urbi und orbi annonciert. Titel der Sendung: „Schluss mit lustig?“ Übrigens ist er Vegetarier.

An Eugen Drewermann scheiden sich die Geister auf dem postmodernen Orientierungsmarkt. Für Fans seiner Bestseller und Vorträge ist er Berater, Reformator, asketischer Prophet. Seine auf C. G. Jung fixierte Interpretation der Erlösungslehre Jesu vermittelt denen, deren Leben er verändert hat, „Angstfreiheit“. Seine Attacken auf Sexuallehren, die den Menschen aufspalten, um ihn zu beherrschen, seine Kapitalismus-Geißelung und Öko-Plädoyers bestätigen den Common Sense politischer Korrektheit: Was wir alle irgendwie ahnen und ändern müssten, aber nicht wagen, ernsthaft umzusetzen.

Diesen Affirmationsansatz, der dem schlechten Kleinbürger-Gewissen Unbequemheit nur suggeriere, tatsächlich aber Kanten des Evangeliums weichspüle, kritisieren Kritiker des Kritikers. Tatsächlich schrumpft Drewermann das dialogisch, trialogisch konzipierte Christentum auf eine Therapie zur individuellen Selbstverwirklichung. Interessant wirken interdisziplinäre Ausflüge, wenn er aus neurologischer Erkenntnis über millionenfache Synapsen-Rückkopplung zwischen „Oben“ und „Unten“ Postulate für die basisferne Hierarchie ableitet. Das Welterklärungssystem des westfälischen Dickschädels verarbeitet allerlei Wissen zu spirituellem Unbehagen an der Zivilisation. Als Guru bedient er den „Käßmann-Effekt“, Sehnsucht nach symbolisch gefühlter Glaubwürdigkeit. „In vier bis fünf Milliarden Jahren“, hat er 2008 gesagt, „lässt sich jede Art von Utopie auf dieser Erde noch mal denken“. Heute feiert er den Siebzigsten. Thomas Lackmann

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