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Noch sind diese Orte für die meisten Europäer weiße Flecke auf der Landkarte. Links die Altstadt von Maribor, rechts die von Guimaraes. Fotos: dpa

© dpa

Europäische Kulturhauptstadt 2012: Klein, aber oho

Seit 1985 leistet sich Europa Kulturhauptstädte. Jedes Jahr darf ein altes und ein neues EU-Mitglied einen Titelträger auswählen. Für 2012 haben das portugiesische Guimaraes und das slowenische Maribor das Rennen gemacht. Ein Ausblick aufs Programm

Wie hießen noch gleich die beiden europäischen Kulturhauptstädte 2011? Ach ja, Turku und Tallinn. Finnland und Estland waren diesmal dran, für das kommende Jahr durften Portugal und Slowenien die Träger des Ehrentitels stellen. Nun stehen also 2012 Guimaraes und Maribor als European capital of culture im Rampenlicht. Oder sie hoffen zumindest darauf. Zur besseren Orientierung: Das 52 000-Einwohner-Städtchen Guimaraes findet sich 50 Kilometer nordöstlich von Porto. Maribor wiederum liegt am Fuße des Pohorjegebirges in der Untersteiermark. 120 000 Einwohner leben in der zweitgrößten slowenischen Stadt, der nächste größere Nachbar ist Graz. Guimaraes sieht sich als „Wiege Portugals“, da hier Alfons I. getauft wurde, der erste König des Landes. In Maribor wurde 1946 auf Initiative von Tito die Nutzfahrzeugmarke TAM gegründet. Zudem gibt es hier den ältesten Weinstock der Welt.

Außerhalb der jeweiligen Länder wusste das bislang kaum jemand. Das soll sich nun ändern: In Guimaraes stehen für das Kulturhauptstadtjahr 25 Millionen Euro zur Verfügung, man erwartet 1,5 Millionen zusätzliche Touristen. In Maribor musste der Etat aufgrund der Wirtschaftskrise massiv von 50 Millionen auf 8,5 Millionen Euro zusammengestrichen werden. Dennoch strebt man ein Plus von einer Million Besuchern an.

Können Gemeinden, die kaum einer kennt, Kulturkapitalen sein? Weil die Europäische Union eine zutiefst diplomatischen Vergabepraxis verfolgt, bei der jeweils ein altes sowie ein neues Mitglied in regelmäßigem Turnus bedacht werden, werden die Titelträger zwangsläufig immer pittoresker. In der ersten Runde waren die Hauptstädte dran, dann kamen die zweitgrößten Metropolen, anschließend kleine, aber historisch feine Orte – und dann? Angesichts von Kulturhauptstädtchen wie Guimaraes und Maribor stellt so mancher die Frage nach dem Sinn des 1985 von Melina Mercouri gestarteten Projekts. Dabei gehen die Kritiker jedoch von einer falschen Annahme aus. Nur zu Beginn gab es die Leitidee, die jeweilige Stadt solle auf ganz Europa ausstrahlen. Internationales Medienecho und zusätzliche Übernachtungsgäste sind natürlich immer noch erwünscht – doch stehen inzwischen die Einwohner der Titelträger selbst im Mittelpunkt.

Die Leute vor Ort sollen etwas vom Kulturhauptstadtjahr haben. Dadurch, dass lange aufgeschobene Projekte endlich verwirklicht werden können wie die Renovierung historischer Gebäude, der Neubau von Museen oder Theatern, die Umwandlung von Industriebrachen in Kulturzentren. Außerdem geht es um die Kommunikation der Einwohner untereinander wie auch mit der Welt draußen. So entsteht neues Selbstbewusstsein.

In Nordrhein-Westfalen beispielsweise gehen die Kulturmacher jetzt aufrechter durchs Land als vor „Ruhr 2010“. Man mag über Aktionen lächeln, bei denen Millionen Menschen auf der Autobahn picknickten. Doch so wurde das alte Kirchturmdenken in der Region aufgebrochen, viele riskierten endlich auch einen Blick in die Nachbarstadt – und waren erstaunt über die Vielfalt der kulturellen Angebote. Durch den EU-Titel wurde hier ein hoffentlich nachhaltiger Prozess angestoßen, der womöglich gar in der Realisierung einer „Metropole Ruhr“ mündet.

Nun also darf in Portugal und Slowenien zwölf Monate lang geträumt werden. In Guimaraes, wo wenig von der einst blühenden Lederwarenindustrie übrig geblieben ist, setzt man auf „Creative Industries“ als ökonomische Triebfeder. Und auf die enge Einbindung der Bevölkerung. Aber es werden auch Stars wie Peter Brook, Mario Vargas Llosa oder der 103-jährige Filmemacher Manoel de Oliveira erwartet. Als Gag gibt es zudem eine „End-of- the-World-Party“: Schließlich steht nach den Weissagungen der Maya Ende 2012 der Weltuntergang bevor.

„The Turning Point“ haben die Macher im slowenischen Maribor ihr Programm überschrieben, das neben Gastspielen des Kroatischen Nationaltheaters, des russischen Ossipov Balalaika Orchesters oder der „Ballets de C de la B“ aus Gent auch ein „Festival der Drehorgel“, ein Theaterstück über den Aufstieg Adolf Hitlers sowie ein Projekt zur „Kultur des Fußballs“ vorsieht, übrigens in Kooperation mit Guimaraes.

Wir übrigen Europäer, die neugierig nach Guimaraes und Maribor blicken (und es dann wahrscheinlich doch wieder nicht dorthin schaffen), lernen zumindest ein paar hübsche Details über unsere gemeinsame Kulturgeschichte. Die Anekdote von der Herzogin Bragança beispielsweise, die den Engländern die Tea- Time schmackhaft gemacht haben soll. 1662 wurde die Adlige aus Guimaraes nach London geschickt, um King Charles II. zu heiraten. Aufgrund der intensiven Handelsbeziehungen Portugals mit Japan war sie es gewohnt, Tee zu trinken. Da sie des Englischen nicht mächtig war, reichte sie ihren Londoner Hofdamen die Tasse mit den Worten „para ti“, was auf Portugiesisch „für dich“ bedeutet. Bei den Briten wurde daraus das Wort „Tea“, so will es zumindest die Überlieferung.

Der 450 Jahre alte Weinstock in Maribor wiederum liefert gerade einmal genug Ertrag für 100 Flaschen im Jahr. Die allerdings sind nicht käuflich zu erwerben, sondern werden verschenkt: an Prominente und gekrönte Häupter wie Bill Clinton, Arnold Schwarzenegger, Papst Johannes Paul II. oder den Kaiser von Japan. Getränke für Normalsterbliche lagern allerdings ganz in der Nähe der historischen Rebe: im größten klassisch bewirtschafteten Weinkeller Europas nämlich. Dessen Tunnel erstrecken sich über eine Länge von drei Kilometern und bieten Platz für über sieben Millionen Flaschen. Na dann: Prost!

Infos unter www.maribor2012.info sowie www.guimaraes2012. pt

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