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Favorit: Der französische Kassenschlager "Ziemlich beste Freunde"

© Foto. Senator

Europäischer Filmpreis: Der diskrete Charme Europas

Am Sonnabend wird der 25. Europäische Filmpreis verliehen. Ein Krisengespräch mit Volker Schlöndorff über den Zustand des Kontinents und seine Filmkultur.

Herr Schlöndorff, Verstehen Sie sich als europäischer Filmemacher?

Spätestens im Ausland, ja, vor allem in Amerika. Aus der Ferne verschwinden die Unterschiede, außerdem habe ich mein Handwerk ja in Frankreich gelernt. Auf unserem Kontinent gibt es Großbritannien mit seiner weltweit immer noch einheitlichen angelsächsischen Kulturtradition, dem Erbe des Commonwealth. Der uneinheitliche Rest, das ist Europa. Colm Tóibín, der irische Drehbuchautor, mit dem ich gerade an einem „Montauk“-Film arbeite, sagt: Europa ist mehr als der Euro, mehr als der Friede nach vielen Kriegen, es ist das Geflecht von Geschichten, die wir uns immer wieder erzählen. Don Quichote, Don Juan, Hamlet, Grimms Märchen – sie sind übrigens das weltweit einflussreichste deutsche Buch, bis heute.

Am Sonnabend werden zum 25. Mal die Europäischen Filmpreise vergeben, beim Festakt mit 1000 Gästen in Malta. Das Publikum sieht außer Hollywood aber immer mehr einheimische Produktionen. Gibt es den europäischen Film überhaupt noch?

Die Globalisierung hat zu einer Regionalisierung der Kultur geführt, das ist nicht neu. Vor lauter Verlorenheitsgefühl klammert man sich an das, was einem am nächsten ist. Deshalb sind die einheimischen Filme wichtiger geworden. Aber es gibt noch etwas anderes: Normale Wähler mit gesundem Menschenverstand bekennen sich mittlerweile zu Europa, obwohl die Euro-Krise sie womöglich Geld kostet. Man ist gegen Brüssel, vielleicht auch gegen den Euro, aber für Europa. Der Begriff hat sich zu meiner Überraschung eingebürgert. Nur für die Kulturprodukte zu diesem kulturellen Bewusstsein, für die Filme und Bücher interessiert sich kaum jemand. Deshalb ist es wichtig, einmal im Jahr ein Ermutigungsfest für das europäische Kino zu veranstalten.

Bernard Henri Lévy sagte kürzlich im „FAZ“-Interview: „Europas Seele ist in Gefahr.“ Kann das Kino da etwas ausrichten?

Der europäische Film kann nicht besser sein als der Gesamtzustand von Europa: Wir sind zerrissen, unsicher, ängstlich, gewiss nicht im Aufbruch oder gar beim Durchbruch zu neuen Ufern. Die Künste spiegeln das. Aber es stimmt auch, dass angesichts des Auseinanderdriftens der europäischen Länder nicht der Film die Politik braucht, sondern die Politik den Film und überhaupt die Kultur, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen.

Als die Europäische Filmakademie 1988 im Berliner Hotel Kempinski gegründet wurde, gab es dieses Gefühl noch. Ingmar Bergman war dabei, den ersten Filmpreis – er hieß damals noch Felix – gewann der Pole Krysztof Kieslowski. Was hat aus dieser Zeit überdauert?

Seine eigentliche Blütezeit hatte das europäische Kino schon nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Rossellini, Buñuel, Antonioni, Fellini, bald darauf Godard, Truffaut, Fassbinder und vielen anderen. Wenn es heute um unsere Selbstverständigung geht, darum, wie wir leben wollen, spielt das europäische Kino leider nicht die Rolle, die es spielen könnte. Immerhin gibt es den harten Kern der Altmeister, Pedro Almodóvar, Kaurismäki, Ken Loach oder den für „Liebe“ nominierten Michael Haneke mit seiner bewunderungswürdigen Sturheit. Da dreht er einen ergreifenden Film über zwei alte Leute in einer Pariser Wohnung und braucht zwölf Millionen Euro dafür! Wegen der Genauigkeit, mit der er tagelang an einer Szene arbeitet, bis sie vollkommen ist.

Es gibt auch jüngere Phänomene wie die tollen griechischen Low-Budget-Filme, die ohne Fördergelder entstehen.

Oder das rumänische Filmwunder, oder Filme aus der Türkei, die zumindest auf den Festivals laufen. Die kleineren Länder und die an den Außenrändern fühlen sowieso europäischer als die großen. Klar, das europäische Kino hat großartige Regisseure, Lars von Trier, aber auch Susanne Bier, Fatih Akin, Andreas Dresen oder Christian Petzold, dessen „Barbara“ dieses Jahr nominiert ist. Nur mündet nichts davon in breitere Fahrwasser, in eine Bewegung. Was auch am dramatischen Kinosterben in manchen Ländern liegt. In Italien gibt es selbst in Unistädten wie Bologna oder Florenz kaum noch Kinos. Allein in diesem Jahr wurden dort landesweit 60 Häuser geschlossen.

Gleichzeitig gibt es aber auch den europaweiten Kassenschlager „Ziemlich beste Freunde“. Die Komödie über einen Multimillionär im Rollstuhl und seinen schwarzafrikanischen Krankenpfleger ist ebenfalls ein Favorit bei den Eurofilmpreisen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Frankreich ist das einzige europäische Land mit einer gesunden Filmkultur. Ich bin dieses Jahr mit „Das Meer am Morgen“ durch die Städte getourt, war in Besançon, Tour, Compiègne, Nantes, Pessac, Lussac und habe das wieder erlebt. Da wird in Talkshows zur besten Sendezeit leidenschaftlich über Filme diskutiert und im Fernsehen gibt es Quotenregelungen zum Schutz für das Kino. Die Leute haben nichts dagegen: Die Stärkung der Filmbranche als Bewusstseinsindustrie geschieht im Konsens mit dem Publikum. Und die Multiplexe sind mit Arthouse-Sälen ausgestattet, das Publikum mischt sich. Das wäre in Deutschland undenkbar. Kein Wunder, dass ein so erfolgreicher europäischer Film aus Frankreich kommt. Allein in Deutschland hatte „Ziemlich beste Freunde“ 8,8 Millionen Zuschauer.

Können die übrigen Europäer etwas von Frankreich lernen?

Dass man Kunst und Kommerz nicht so strikt trennen sollte. Ein Regisseur wie François Ozon dreht junge Filme mit den Stars des alten Kinos, mit Catherine Deneuve, Fanny Ardant, Jeanne Moreau oder Charlotte Rampling. Hierzulande hat nur Fassbinder das versucht. Wir anderen haben uns von den Produzenten des Unterhaltungskinos abgewendet, das war vielleicht der Sündenfall. Es gibt Fotos aus jüngeren Jahren, auf denen man sehen kann, wie ich förmlich Angst habe, von Horst Wendlandt umarmt zu werden. Diese Angst, die eigene Unabhängigkeit und künstlerische Unschuld zu verlieren, ist eine europäische Konstante. Eher bräuchten wir etwas von dem populären Charme der „Wunderbaren Welt der Amélie“.

Aus Brüssel gibt es immerhin Fördermaßnahmen für den europäischen Film.

Liegt es an der Vermarktung oder daran, dass es so wenig Erzählkino und vor allem verkappte Sozialreportagen gibt? Wieso schließt das eine das andere aus? Ist Lachen in Europa verboten? Bertrand Tavernier sagte einmal zu mir: Warum machst du nicht die Filme, die du selber sehen willst? Vielleicht hätte ich mir das mehr zu Herzen nehmen sollen.

Wie wird die Stimmung morgen in Malta sein? Trotzig? Voller Selbstmitleid?

Nein, auch wenn das Publikum immer disparater wird, die Zunft ist keineswegs wehleidig. 2011 lernte ich bei der Gala in Berlin das Team von „The Artist“ kennen – nach „The King’s Speech“ war das ja der zweite „europäische“ Oscar-Gewinner: lauter enthusiastische Leute, darunter der Enkel von Claude Berri. Jedes Jahr gibt es neue, junge Filmschaffende, die erstaunt registrieren, welcher Familie sie angehören. Ohne die Anstrengungen der bescheiden ausgestatteten Akademie gäbe es womöglich noch weniger europäisches Gemeinschaftsgefühl. Also spielen wir weiter Sisyphos und hoffen darauf, dass der Stein irgendwann doch oben liegen bleibt.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Vor einer Woche wurde Volker Schlöndorff, 73, für ein Debüt ausgezeichnet: „Das Meer am Morgen“, sein erster reiner TV-Spielfilm, gewann in Baden-Baden den Fernsehfilmpreis. Schlöndorff, der seine Karriere in Paris als Regieassistent von Louis Malle begann, gehört zum Vorstand der 1988 gegründeten Europäischen Filmakademie mit Sitz in Berlin. Zu seinen gut 30 Filmproduktionen seit „Der junge Törleß“ (1966) gehören „Die verlorene Ehre der Katharina Blum", „Die Fälschung“, „Tod eines Handlungsreisenden“,„Homo faber", „Die Stille nach dem Schuss“, „Der neunte Tag“ und „Strajk – Die Heldin von Danzig“. Und natürlich „Die Blechtrommel", für die er 1980 den Auslands-Oscar gewann. Schlöndorff inszeniert auch Opern, zuletzt im August „Carmen" am Berliner Wannsee.

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