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Kultur: Europas Lehrmeister

Ein Franzose, der einmal ein Deutscher war. Zum Tod des Historikers Joseph Rovan

Klein und zierlich war Joseph Rovan – insbesondere dann, wenn er, wie vor ein paar Jahren in Paris, bei einem EuropaSymposion neben seinem Freund Helmut Kohl auf dem Podium saß. Doch die geistige Präsenz des 1918 in München geborenen Historikers, die Brillanz seiner Wortmeldungen, die Fülle seines Wissens und das Charisma seiner biografischen Anschauung machten jedem Betrachter rasch deutlich, dass auch Rovan zu den Schwergewichten des 20. Jahrhunderts zählt. Mit hochkarätigen Auszeichnungen aus Frankreich (Académie Française) wie aus Deutschland (Nationalpreis) sind die Leistungen gewürdigt worden, die Rovan auf wissenschaftlicher, institutioneller und publizistischer Ebene für die deutsch-französische Verständigung erbracht hat.

Das energische Eintreten für friedliche Grenzüberwindungen entstammt der Erfahrung diktatorischer Einschränkung und Bedrohung: Rovan, eigentlich Joseph Rosenthal, war zwar protestantisch getauft, aber jüdischer Abstammung und entschied sich 1933 zur Flucht vor den Nazis nach Frankreich, machte in Paris seinen Schulabschluss und ging 1940, als die deutschen Besatzer einrückten, in die Résistance. 1944 wurde er von der Gestapo gefasst und ins Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er nur aufgrund des falschen Namens überlebte.

Schon im Oktober 1945 kehrte er wieder nach Frankreich zurück und fand sich mit Kameraden aus Résistance-Zeiten zusammen, um in der neuen historischen Situation am reizvollsten Wesenszug der Demokratie mitzuarbeiten – an ihrer Verbesserungsfähigkeit. Nach der Ausübung verschiedener politischer Ämter, die ihn im Auftrag de Gaulles von Toulouse über Lyon schließlich wieder nach Paris führten, wechselte er in den späten Sechzigerjahren ins Professorenfach und lehrte zunächst in Vincennes, dann in Asnières an der „Sorbonne Nouvelle“ deutsche Geschichte. Kaum überschaubar sind seine politischen Einflüsse im Hintergrund: Als der Frankreich-Kenner Klaus Harpprecht Rovans „Erinnerungen eines Franzosen, der einmal Deutscher war“ im Jahr 2000 rezensierte, stellte er verblüfft fest, dass der Autor auch zu den Gründern der Elite-Verwaltungshochschule ENA gehörte. Beratertätigkeiten übte Rovan sowohl für Helmut Schmidt als auch für Helmut Kohl und Jacques Chirac aus. In seiner Eigenschaft als Präsident des „Bureau International de Liaison et de Documentation“ konnte Rovan darüber hinaus europäischen Überzeugungen und Ideen breitenwirksame Foren bieten.

Der pädagogische Eifer, mit dem Rovan schon früh und immer wieder versuchte, das Deutschlandbild der Franzosen zu aktualisieren und von Klischees und Ressentiments zu befreien, schlug sich auch nieder in der Darstellungskraft seiner Bücher, sei es die monumentale „Geschichte der Deutschen von ihren Ursprüngen bis heute“, sei es „Im Zentrum Europas“, einem Ausblick auf die Rolle Kerneuropas im 21. Jahrhundert. Rumsfelds verbale Attacke gegen das alte Europa nahm Rovan zum Anlass, für eine von Deutschland und Frankreich initiierte, kulturell geeinte, von Island bis Saloniki reichende Großmacht Europa zu werben.

Die Stoßrichtung seiner Publizistik verlagerte sich immer stärker auf die Sorge um eine von Amerika dominierte, ganz den Aktienkursen verschriebene Welt, die an sich selbst Raubbau betreibe. Auf der letzten Seite seiner „Geschichte der Deutschen“ hat der Konservative Rovan – zu seiner eigenen Verwunderung – gar ein Loblied auf die Grünen angestimmt. Die Nachricht, dass der rüstige Intellektuelle am Dienstag 86-jährig in der Auvergne beim Baden in einem See ertrunken ist, macht auch deshalb betroffen, weil mit ihm einer der letzten Repräsentanten (neben dem sieben Jahre jüngeren Alfred Grosser) tatsächlich erkämpfter und erlebter Europäisierung abtritt. Aus ihren Erzählungen war und ist Energie und Neugierde zu schöpfen für ein binationales Miteinander, das mehr bedeutet als anonyme Homogenisierungsprozesse.

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