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Europawahl: Vereinigte Staaten

Eine EUROPA-UTOPIE von Caroline Fetscher

Von Caroline Fetscher

Raus aus den nationalen Schrebergärten, rein ins supranationale Projekt Europa. Im Kern ist das die Vision, die vielen vorschwebt, wenn sie an die Zukunft des Kontinents denken. Warum nicht, am Tag der Europawahlen, noch weiter denken, an eine Weltdemokratie im Jahr, na sagen wir 2089?

Alle Kontinente der Erde haben sich, nach Jahrhunderten gewalttätiger Konflikte, auf große Zusammenschlüsse geeinigt. Neben den Vereinigten Staaten von Europa existieren die Vereinigen Staaten von Asien, die von Afrika, die von Amerika, Kanada und Lateinamerika sowie die Vereinigten Staaten von Australien, Neuseeland und einigen Pazifikinseln. Gemeinsam erhalten sie eine höchste kosmopolitische Instanz, die über Menschenrechte und Handelsregulierung wachende „United Continents Organisation“ (UCO), Rechtsnachfolgerin der United Nations. Ihre Mitglieder garantieren den Schutz von Kindern, Frauen, Männern, Minderheiten, globale Bildungsprogramme, Hilfe bei Energieengpässen und Naturkatastrophen. Grundkenntnisse der ökonomischen, ökologischen, sozialen Elemente einer demokratischen Gesellschaft werden allen vermittelt. Gewaltfreiheit in privaten Beziehungen und Institutionen ist oberste Maxime. Militärausgaben sind minimal, die wenigen harten Konflikte gehen meist auf versprengte nichtstaatliche Akteure zurück. Man forscht und erfindet auf allen Gebieten, technisch, sozial, künstlerisch.

Unrealistisch! Blödsinn! Monsterbürokratie! Wie zum Teufel soll das funktionieren? Und wo bitte bleiben Passionen, Sünden, Laster? So und drastischer klingt der kakophonische Chor nationaler Stimmen, wenn das kosmopolitische Orchester proben will. Dabei muss man sich bloß einmal die Utopisten der Vergangenheit vergegenwärtigen, um die kreative Kraft der Utopie zu erahnen. Diese wünschten sich eine Welt ohne Leibeigenschaft, Scheiterhaufen und Pranger, ohne den Terror der Feudalherren und des Klerus. Irrwitz!, hat man Leuten mit solchen Ideen entgegengeschleudert, wo bliebe denn da die Ordnung?

Heute sehen wir einen zentralen Ordnungsgaranten in der Nation, auch wenn sie, eine politische Hilfskonstruktion der Vergangenheit, mittlerweile als eben das entlarvt wurde, ein postfeudales Konstrukt, das latent überkommene Hierarchie- und Machtansprüche stets neu zu legitimieren versucht.

Dass das heutige Europa, eine tatsächlich Frieden stiftende Union, keine Utopie ist, dass es schon früh als Vorstellung von Weltbürgertum auftauchte, wusste schon Friedrich Schiller, als er 1789 in Jena seine Antrittsvorlesung zur Universalgeschichte hielt. „Wie viele Kriege mussten geführt, wie viele Bündnisse geknüpft, zerrissen und aufs Neue geknüpft werden, um endlich Europa zu dem Friedensgrundsatz zu bringen, welcher allein den Staaten wie den Bürgern vergönnt, ihre Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten und ihre Kräfte zu einem verständigen Zwecke zu versammeln!“, freute sich Schiller.

Zu den Kriegen, die er zitierte, kamen im 20. Jahrhundert noch weit traumatischere hinzu. Dennoch ist die Europäische Union heute Realität – und der Stoff, aus dem die Hoffnung ist.

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