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Spielfreudig. Juliana Götze, Zora Schemm und Eva Mattes (v. l.) in "Der gute Mensch von Downtown".

© Melanie Bühnemann

Eva Mattes am Theater Ramba Zamba: Am Donnerstag ist Weltuntergang

Eva Mattes spielt in „Der gute Mensch von Downtown“ am Theater Ramba Zamba. Ein Probenbesuch in Prenzlauer Berg.

Wenn Gott ein Machtwort spricht, dann klingt das so: „Die Welt muss zugrunde gehen, weil die Gesetze der Güte und Gastfreundschaft nicht eingehalten werden. Deswegen habe ich eine große Katastrophe eingeleitet – die Sintflut!“ Und alsbald ist da der Engel des Herrn, der zittert vor Mitleid mit den absaufenden Menschen und bittet: „Wenn ich drei gute Menschen finde, kannst du die Katastrophe dann verhindern?“ Gott wiegt skeptisch den kahlen Schädel. Zu oft schon hat ihn die Schlechtigkeit, die Gier, der Geiz der Menschen enttäuscht. Doch dann ertönt die erlösende Antwort: „Na gut!“ Rumms knallen Gummistiefel auf den Bühnenboden. Je ein Paar für Gabriel und Michael, die Engel, die sich aus dem mit Plastikfolienstrippen verhängten Regenhimmel aufmachen, auf Erden drei Gerechte zu finden, die das Weltgericht aufhalten können.

Es ist Montagmittag, Durchlaufprobe im Theater Ramba Zamba. Am Freitag feiert „Der gute Mensch von Downtown“ Premiere und noch hat Gisela Höhne, in Personalunion Theaterchefin und Regisseurin, einiges zu tun. Die Drehbühne dreht sich zu lange, eine Folie verhakt sich, Licht und Übergänge stimmen noch nicht. Und bei ihren beherzt unters wuselige Ensemble gebrachten Regieanweisungen fällt einem der Spruch „Schwerer als ein Sack Flöhe hüten“ ein. Da mischt sich kurzerhand auch Erzengel Gabriel von seinem Beobachtungspodest am rechten Bühnenrand ein: „Dreht die Gondeln zu uns, zu uns, zu uns“, ruft er den drei Schauspielerinnen auf der Drehbühne zu. Die symbolisiert gerade ein Karussell. Und nach einer kleinen Schrecksekunde löst sich der Requisitenwirrwarr, und Darsteller und Gegenstände richten sich wie gewünscht Richtung Publikum aus. Höhere Wesen befahlen – das funktioniert nicht bloß bei Sigmar Polke.

Den Erzengel übrigens, den spielt Eva Mattes. Es ist ein doppelter Einstand. Als Darstellerin in einer regulären Produktion des inklusiven Theaters Ramba Zamba und als Flügelwesen. Tatsächlich, schüttelt Mattes beim Gespräch nach der Probe verwundert den Kopf. Einen Engel hat sie noch nie gespielt. Wo doch in sagenhaften 50 Schauspielerinnenjahren so einiges an Rollen zusammengekommen ist. Im Neuen Deutschen Film der Siebziger bei Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog, der auch Vater eines ihrer Kinder ist. Und auf der Theaterbühne, wo sie 30 Jahre lang mit Peter Zadek zusammengearbeitet hat. Von zahllosen Fernsehrollen, darunter die gerade zu Ende gehenden 14 Jahre als „Tatort“- Kommissarin ganz zu schweigen.

Sie hat mit zwölf zu schauspielern angefangen

Die 1954 geborene Tochter der Schauspielerin Margit Symo und des Filmkomponisten Willy Mattes hat schon mit zwölf in der elterlichen Branche angefangen und Kinderserien synchronisiert. Nicht irgendwelche Serien, sondern die Spielplatzfeger „Lassie“ – da spricht sie den deutschen Timmy – und „Pippi Langstrumpf“, da spricht sie die bärenstarke Heldin und singt das Titellied „Hey, Pippi Langstrumpf“. Eva Mattes rollt mit den Augen. Das habe ewige Zeiten niemanden interessiert bis es vor ein paar Jahren die „Bild“-Zeitung schrieb. Seitdem wird die schauspielerische Autodidaktin dauernd drauf angesprochen.

Seit 1992 lebt die österreichische Staatsbürgerin mit ihrem Mann, dem Künstler Wolfgang Georgsdorf, in Berlin. Und der Erstkontakt mit dem heute als wichtigstem integrativen Theater Deutschlands geltenden Ramba Zamba ist dann nur wenige Jahre später geschehen. „Medea!“, sagt Eva Mattes und ihre Augen leuchten. „Das war großes Theater – poetisch, theatralisch, sinnlich, wunderbar.“ Kennengelernt hat sie das von ihr schon lange durch Lesungen oder Liederabende unterstützte Haus, an dem 35 Menschen mit unterschiedlichen Handicaps als Schauspieler arbeiten, durch ihre Freundin Angela Winkler. Deren Tochter Nele hat das Down-Syndrom, ist Ensemblemitglied und spielt auch in „Der gute Mensch von Downtown“ mit. Sie habe sich schon immer mit den Mongolen identifiziert, sagt Mattes. Ihrer ungarischen Mutter wegen. „Und weil ich selbst so aussehe.“ Das hat Theatergründerin Gisela Höhne, die sich gerade mit an den Tisch setzt, durchaus gehört. Es schockt sie kein bisschen. Im Gegenteil. Dass sie Mutter eines Sohns mit Down- Syndrom ist, hat sie ja auch nicht davon abgehalten, ein Stück namens „Mongopolis“ auf die Bühne zu bringen.

Tja, so schnell kommt man aufs Glatteis, kommentiert sie das Political-Correctness-Minenfeld und bringt bei der Gelegenheit auch gleich den künstlerischen Anspruch des Theaters auf den Punkt. „Wir wollen Geschichten verhandeln und nicht nur uns selbst.“

Sind Behinderte die besseren Menschen?

Mit Darstellern, die sie wie nennt? Behinderte? Nö. Höhne präferiert „Menschen mit einer anderen geistigen Ordnung“. Das findet ihre Freundin Eva Mattes, die seit Jahren auf die Gelegenheit wartete, endlich mal bei Ramba Zamba mitzuspielen, ausgesprochen zutreffend. „Die wissen genau, was sie tun“, sagt sie über ihre Bühnenkollegen. Auch wenn der Stil von Ramba Zamba ganz gewiss kein psychologisches Theater sei.

Da hat sie recht: es ist spiel- also handlungsfreudig, direkt, intuitiv, im guten Sinn naiv, ohne harmlos zu sein. Dass die Ramba Zambas keine Scheu vor großen Themen haben, zeigt auch „Der gute Mensch von Downtown“, der sich an Bertolt Brechts Parabel vom guten Menschen von Sezuan anlehnt. Die Erdenbürger halten Gabriel und Michael, also die himmlische Prüfungskommission, nämlich für abgerissene Flüchtlinge. Nach vielen Pleiten finden sich aber doch drei Mädchen, die den gefiederten Boten Obdach geben wollen.

Doch das Aufatmen von Gabriel, endlich drei Gerechte gefunden zu haben, wird sofort von Erzfeind Luzifer torpediert. „Das gilt nicht“, schreit er auf der Probe, „die haben das Down-Syndrom, dann müssen sie ja gut sein.“ Und genau das ist die heiße Frage, die das Stück stellt. Zählt die Güte von Menschen, die nicht strategisch handeln? Ist naive so viel wert wie reflektierte Güte? Ja, sind Behinderte womöglich die besseren Menschen?

Statt zu streiten Ich hab' dich lieb, Gisela

Höhne und Mattes schütteln die Köpfe. Obwohl: „Die Tendenz, gütig zu sein, ist bei unseren Leuten größer“, befindet Gisela Höhne dann doch. Aus reinem Selbstschutz. Sie ertrügen Disharmonie einfach nicht. Und Mattes hat von ihren Kollegen gar eine neue Haltung gelernt. Wenn die Regisseurin bei den Proben mal etwas lauter schimpft, sagen die lieber „Ich hab’ dich lieb, Gisela“ als sauer zu werden. Schon ist aus dem Kessel der Dampf raus. Beispielhaft und großherzig findet Mattes das. Und registriert zugleich amüsiert, dass keiner den alten Theatertrick kennt, immer ein Stückchen vom Bühnenpartner zurückzuweichen, damit der dem Publikum den Hinterkopf zuwenden muss und so dessen Aufmerksamkeit verliert.

Ihre Idee, mal einen ganzen Bodensee- „Tatort“ mit dem Ensemble vom Prenzlauer Berg zu besetzten, hat sie nicht beim Redakteur durchgekriegt. Obwohl Ensemblemitglieder von Ramba Zamba häufig in Film- und Fernsehproduktionen mitspielen.

Dass diese regelmäßigen Dreharbeiten jetzt wegfallen, stürzt Mattes nicht in Langeweile. Im Mai folgt in Berlin mit „Liv Stein“ schon ihre nächste Theaterpremiere. Und vorher gibt sie am 25. Februar in der Wabe noch einen Liederabend mit dem Berlin Improvisers Orchestra. Im „Guten Menschen von Downtown“ singt sie mit ihrem warmen Alt „Am Donnerstag ist Weltuntergang“. In ihrem eigenen Programm sind es geträumte Sätze. Die sammelt sie, seit 1988 schon, rund 100 hat sie bereits zusammen. Ob sie mal einen aufsagen mag? Nicken, kurzes Grübeln und dann: „Die beiden riesigen Busen aber waren wie Tante und Onkel plötzlich verschwunden.“ Oder: „Chaos oder wie begrüße ich meine Mutter im Stehen.“ Interessant, danke schön. Wie war das noch, die Ramba Zambas sind Menschen mit einer anderen geistigen Ordnung? Das könnte über manchem Künstlerhirn stehen.

Theater Ramba Zamba in der Kulturfabrik Berlin, Premiere: Fr 12. 2., ebenfalls am Sa 13., Mo 15., Di 16. 2., jeweils 19 Uhr.

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