zum Hauptinhalt

Kultur: Ewige Kunst

Überraschend aktuell: Karl Schefflers Memoiren

Vor 60 Jahren verstarb Karl Scheffler in Überlingen am Bodensee. 1869 geboren, kam er auf Umwegen zur Kunstkritik – und wurde nach der Jahrhundertwende zu einem der einflussreichsten Kritiker Deutschlands. Er blieb es, bis die Machtübernahme der Nazis ihn zum Verstummen zwang. Den größeren Teil seiner Laufbahn war Scheffler ein Mann von gestern, der Streiter für ein Kunstideal vergangener Zeiten. So recht ist ihm das selbst nicht bewusst geworden, liest man seine Lebenserinnerungen, die er 1946 unter dem Titel „Die fetten und die mageren Jahre“ veröffentlichte. Nun liegen sie erstmals in neuer Ausgabe vor, beim Schweizer Nimbus Verlag. Passenderweise fand die Buchvorstellung im Liebermann- Haus statt, das mit der derzeitigen Ausstellung „Liebermanns Gegner“ diejenige Kunst zeigt, die auch Scheffler rundweg ablehnte.

Schefflers Erinnerungen rufen die Jahre des späten Wilhelminismus herauf, mit jener warmen Sympathie, die erst der unwiederbringliche Verlust eingibt. Sein Credo lautete: „Ein Höchstes und ein Ganzes, das ist, auf eine Formel gebracht, der Inhalt des kritischen Ideals.“ In der Kunst selbst stand ein solches Ideal zuletzt dem Jugendstil vor Augen. An den Expressionisten bemängelte Scheffler, „einen Mangel als eine Kraft erscheinen zu lassen“. Wirklich interessant ist das Buch dort, wo der Autor die Museen und ihre Protagonisten charakterisiert und Diskussionen vergegenwärtigt, die bis heute nicht erledigt sind. Die Frage, wo die Grenze zwischen außereuropäischer Kunst und Ethnografie verläuft, ist nicht nur eine Geschichte aus den Berliner Museen zur Zeit ihrer größten Expansion vor 1914, sondern unvermindert aktuell. Und wenn Scheffler dem Museumsgeneral Wilhelm von Bode die „Kühnheit“ attestiert, „zweifelhafte Echtheitsscheine auszustellen“, kommt der allerjüngste Skandal um bereitwillig zertifizierte Fälschungen in den Sinn. Apropos Bode: Der „war mehr ein Besitzenthusiast als ein zweckfrei Begeisterter“, mit anderen Worten mehr Manager als Liebhaber. Auch das klingt heutigen Ohren vertraut.Bernhard Schulz

Karl Scheffler: Die fetten und die mageren Jahre. Nimbus Kunst und Bücher AG, Wädenswil (CH) 2011. 424 Seiten, 39,80 €.

Zur Startseite