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Entschlossen. Der Ex-Komiker und Neu-Politiker Beppe Grillo

© afp

Ex-Komiker Beppe Grillo: Der Mann, dem das Lachen verging

Beppe Grillos Bewegung "Fünf Sterne" konnte sich bei der Italien-Wahl gegen das politische Establishment behaupten. In seiner Heimat wird der Ex-Komiker in den Medien diffamiert – mit weitreichenden Folgen auch im Ausland.

Langsam drehen sie hier völlig durch, dachte ich, als ich hörte, wie im Radio aus meinem Interview zitiert wurde. Einem Interview, das noch gar nicht erschienen ist. Ich habe es mit Beppe Grillo geführt, dem Wahlsieger und Anführer der Bürgerbewegung Cinque Stelle (Fünf Sterne), dem Satiriker, Moralisten, Umweltschützer und Antichristen der italienischen Politik. Weil er in der etablierten Presse als „Populist“, „Komiker“, „Faschist“, „Demagoge“, „Putschist“, „Antisemit“, „Rassist“ oder auch als „Rotbrigadist“ diffamiert wird, gibt Grillo der italienischen Presse keine Interviews mehr. Also stürzt man sich hier auf alles, woraus eine Nachricht gebastelt werden könnte. In diesem Fall auf eine Vorabmeldung. Die als Beweis dafür herhalten sollte, dass Grillo bereit sei, eine große Koalition aus linksdemokratischer PD und Berlusconis PDL zu unterstützen. Eine klare Falschmeldung. Die ich zwar umgehend dementierte, die aber dessen ungeachtet immer noch durch das Netz geistert und in nahezu allen Nachrichtensendungen zitiert wurde. In diesen Tagen geht es um die Regierungsbildung in Italien, da sind alle Mittel recht.

Denn vor einer Woche sind alle Gewissheiten der letzten Jahrzehnte auf den Kopf gestellt worden: Eine Bewegung, die kein Geld hat, keine Fernsehsender, keine Tageszeitung, kein Verlagshaus, keine Banken, schaffte es, stärkste Partei zu werden. Ein Viertel der Italiener hat für die Bewegung Fünf Sterne gestimmt, die sich so nach den fünf Leit-„Sternen“ (Wasser, Umwelt, Transport, Internet, Entwicklung) ihres Gründungsprogramms nennt – und die hinter dem erstarrten Rücken der italienischen Politkaste im Netz gewachsen ist.

Seit 20 Jahren herrschen in Italien Politiker, die sich mit der Mafia arrangieren und das Land als Privatschatulle betrachten. Der Erfolg der Bewegung Cinque Stelle war daher nicht überraschend. Bis sie antrat, war der Ausgang der Wahlen in Italien so spannend wie in der DDR zu Honeckers Zeiten: Es siegte Berlusconi. Und wenn er ausnahmsweise mal nicht siegte, kaufte er Abgeordnete, um die Regierung wenig später zu Fall zu bringen.

Wenn Berlusconi dann wieder gesiegt hatte, murrten die Linksdemokraten etwas, richteten sich aber schnell bequem ein, mit Blick auf den bösen Mann: Gott ja, was soll man auch gegen ihn machen? Das Fernsehen gehört ihm! Das größte Verlagshaus auch! Und der größte Fußballverein! Sie versuchten sich damit zu trösten, dass es ja auch ein paar Regionen, Städte und Banken gab, die ihnen gehörten. Ansonsten laugte sie das Schattendasein in der Opposition derart aus, dass sie, selbst wenn sie ausnahmsweise kurz an der Macht waren, sich nicht aufraffen konnten, ein Gesetz zum Interessenskonflikt zwischen der Rolle als Ministerpräsident und größter Medienunternehmer des Landes zu erlassen. Auch für ein neues Wahlgesetz sorgten sie nicht, das der Absurdität ein Ende bereitet hätte, eine Partei, die 30 Prozent der Stimmen erlangt, mit der Mehrheit der Parlamentssitze zu belohnen.

Beppe Grillo saß in keiner Talkshow, er ist weder Milliardär noch Parteikader, er hatte keine Leitartikler an der Leine und wurde schon lange vor Berlusconis Säuberungswelle aus dem Fernsehen beseitigt: Der inzwischen verblichene Sozialistenchef Bettino Craxi verbannte ihn, als Grillo sich nicht mehr damit begnügte, Sitten und Gebräuche zu verspotten, sondern die politische und soziale Wirklichkeit Italiens kritisierte. Von da an zog er durch die großen Theater des Landes, er schlachtete die heiligen Kühe der Rechten und der Linken, gründete einen erfolgreichen Blog und gab einer Gegenöffentlichkeit eine Stimme.

Eine Bewegung aus dem Nichts

Von seinem Weblog lancierte Grillo die Idee der „Meet-ups“: kleine, renitente Zellen, Hilfe zur Selbsthilfe im Kampf gegen Umweltverschmutzung, Korruption, Mafia. Im Jahr 2005 kam es in Turin zum ersten nationalen Treffen. Von dem kaum jemand Notiz nahm. Jedenfalls niemand von Italiens Politkaste und den ihr zur Verfügung stehenden Zeitungen : „Il Giornale“ und „Libero“ gehören Silvio Berlusconi, die „Repubblica“ und der „Espresso“ gehören dem linksliberalen Finanzier Carlo De Benedetti, Ex-Chef von Olivetti und Fiat, die Familie Agnelli hält sich die Turiner „Stampa“, und die Wirtschaftszeitung „Il sole 24 Ore“ gehört dem italienischen Unternehmerverband. Die „Unità“, ehemalige Parteizeitung der Kommunistischen Partei, gehört einem der reichsten Männer Italiens, dem Unternehmer Renato Soru, Ex-Präsident der Region Sardinien, Gründer der Telekommunikationsfirma Tiscali. Bis auf einen sind alle Privatsender im Berlusconis Besitz, die RAI gehört demjenigen, der gerade die Macht hat, im Zweifel also auch Berlusconi – da mag es nicht erstaunen, dass das Ergebnis eine systematische Desinformation ist. Die auch noch mit staatlichen Geldern subventioniert wird. Die einzige Zeitung, die auf diese Subventionen verzichtet, ist die von einer Handvoll Investigativjournalisten gegründete Zeitung „Il Fatto Quotidiano“.

Als sich bei dem ersten Vaffanculo-Day (Haut-ab-ihr-Ärsche-Tag) 2007 50 000 Italiener versammelten, um die Parteien per Petition dazu aufzufordern, vorbestraften Parlamentariern das Mandat zu entziehen, rangen sich die Zeitungen ein paar Zeilen über diese Kuriosität ab. „Repubblica“-Herausgeber Eugenio Scalfari schauderte und schrieb: „Hinter dem Grillismus sehe ich widerwärtigste Law and Order; ich sehe dahinter die Diktatur“, der „Espresso“ fühlte sich an Mussolini erinnert. Der „Corriere della Sera“ bezeichnete Grillo als „Person mit brutaler Gier“ und die „Stampa“ beschied: „In einem normalen Land wäre der V-Day auf den Unterhaltungsseiten besprochen worden.“

Als Grillo bei dem nächsten V-Day auch noch forderte, die Subventionen für die Presse zu streichen, war kein Halten mehr: Berlusconis „Giornale“ titelte: „Benito Grillo“, und die „Repubblica“ beschwor seinen Untergang: „Grillo ist schon am Ende, er bringt nicht mehr zum Lachen.“ Nachdem erste Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung in Gemeinden, Stadtverwaltungen und Regionalparlamente eingezogen waren, wurde der Ton schärfer: „Globalisierungsgegner und Gewalttäter: So bereitet Grillo den Putsch vor“ schrieb das „Giornale“.

Kurz vor den Wahlen steigerten sich die Zeitungen in ein wahres Fünf-Sterne-Delirium, das man hätte belächeln können – wenn die Diffamierungen nicht in Copy-and-Paste-Manier auch in Deutschland angekommen wären. Kaum eine deutsche Zeitung berichtete über das neue politische Phänomen, ohne es als „populistisch“ und „antipolitisch“ zu verdammen. Aus der „Welt“ war zu erfahren, dass Beppe Grillo einen „wüsten Hass auf die ‚Schmarotzer‘ da oben“ predige, weshalb das Blatt vor einem „Tsunami der Politclowns“ warnte: „Fünf Sterne existiert erst seit dem Jahr 2009, die Bewegung kommt quasi aus dem Nichts. Ihre Anhänger gehörten meist nicht einer anderen Partei an, sondern sind in überwiegender Zahl Bürger ohne politische Erfahrung, die nun antreten, um die Geschicke des Gemeinwesens zu verändern“. Die „Zeit“ wusste: „Italien hat sich verwählt“, als es für Beppe Grillo, den „windigen Stimmenfänger“ stimmte. Die „SZ“ wusste bald, dass die Bewegung zwar aufräumen, aber keine Verantwortung übernehmen wolle.

Da kann man Peer Steinbrück nicht verübeln, dass er sich, offenbar nach intensiver Presselektüre, beflügelt fühlte, von zwei „Clowns“ zu sprechen. Auch der FDP-Europaparlamentarier und Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff stellte fest: „Es fällt schwer, in diesem Ergebnis die Klugheit des Wählers zu erkennen“ und wurde von der FAZ sekundiert: „Wir alle wollen nur stabile Verhältnisse in Italien und, frei nach Schäuble, Politiker, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Und wenn nicht, dann sind sie halt Clowns.“ Ja, die Klugheit, die Klugheit! Verflixt und zugenäht! Offenbar ist sie nur in deutschen Köpfen zu finden. Eines ist sicher: Der größte Verlierer dieser Wahlen ist der Journalismus. In Italien. Und in Deutschland. Auch das ist Europa.

Petra Reski ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt seit 1991 in Venedig. Zuletzt erschien von ihr „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ bei Hoffmann & Campe.

Petra Reski

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