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Das schmale Grundstück hinter dem Portikus soll zu Bauland für das Exil-Museum werden.

© Mike Wolff

Exil-Museum am Anhalter Bahnhof: Wo Bertolt Brecht den Zug bestieg

Ein Coup für die Stiftung Exil-Museum: Auf der Brache hinter der historisch bedeutsamen Ruine am Anhalter Bahnhof soll das Museum Quartier beziehen.

Berlin ist schon lange keine Stadt der Brachen mehr. Das Grundstück hinter dem verbliebenen Portikus des Anhalter Bahnhofs gehört bald zu den letzten Leerflächen. Meist werden solche Leerflächen ja übersehen oder man guckt sie sich im Vorübergehen schön, bis plötzlich etwas auf ihnen geschieht. Eine solche Brache am Rande und doch im Zentrum der Stadt ist der Platz hinter der Bahnhofsruine, ein schmales Handtuch im Vergleich zu dem sich dahinter erstreckenden Sportplatz und dem Terrain mit dem Tempodrom – und dennoch mit seinen 5000 Quadratmetern ein Filet-Grundstück.

Ausgewiesen als Grünfläche, obwohl nur schlichter Kies darauf ausgestreut ist, soll hier nun Großes geschehen. Die Stiftung Exil-Museum, eine private Initiative, will ihr Haus darauf bauen. Die Ortswahl ist kein Zufall, denn von hier aus traten nach 1933 viele der von den Nationalsozialisten verfolgten Künstler, Literaten, Fotografen, Regisseure und Politiker ihren Weg ins Exil an. Der Anhalter Bahnhof war damals einer der größten in Berlin, hier stieg man in den Zug gen Westen, nach Wien und Paris. Auch Bert Brecht und Heinrich Mann begannen ihre lange Reise in die Emigration am Anhalter Bahnhof.

Wie Tausende andere passierten sie den gewaltigen Portikus mit der überdachten Vorfahrt, einer ihrer letzten Eindrücke von Berlin. Nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs blieb er als Einziges erhalten, vor der zerstörten Bahnhofshalle. Fast wäre das Portal in den Fünfzigern ebenfalls weggesprengt worden, hätten sich nicht Bürgerproteste formiert. Die backsteinerne Ruine mit Resten der Tag und Nacht symbolisierenden Skulpturen ist heute ein Denkmal, das vor allem an die Deportierten erinnert. Ab Juni 1942 gingen die sogenannten „Alterstransporte“ Berliner Juden von hier aus nach Theresienstadt, wie auf einer Tafel neben den Mauerresten zu lesen ist. Von den Menschen, die sich durch Ausreise in Sicherheit bringen konnten, aber ihre Heimat verloren, steht darauf nichts.

Es gab weder Ideen noch Anfragen für das Gelände am Anhalter Bahnhof

Mit dem Antrag auf Baugenehmigung für das hinter der Ruine gelegene Terrain durch die Museums-Initiatoren rund um Bernd Schultz, den Gründer des Auktionshauses Grisebach, ändert sich das nun. Plötzlich wird der Portikus für die Exilanten zum bildkräftigen Symbol. Zwischen 1933 und 1945 emigrierten über 500 000 Menschen in ganz Europa. Von den politischen Emigranten kehrte nach dem Krieg ein Großteil zurück, von den jüdischen Auswanderern nur vier bis fünf Prozent.

Ihren Lebensgeschichten will das Museum sich widmen. Und damit auch dem, was Deutschland durch den Exodus der damaligen Protagonisten der Fotografie, Soziologie, Kunstgeschichte, Architektur und Naturwissenschaft verloren ging und wie sie ihre Ideen anderswo verwirklichten. All das soll mithilfe von Tonquellen, Medienstationen filmisch und fotografisch, auch interaktiv erzählt werden. Das Jüdische Museum und das DHM haben bereits Leihgaben in Aussicht gestellt.

Während die einen darüber staunen, dass es in Berlin mit seiner ausgeprägten Gedenkkultur für die Emigranten bislang keinen Ort der Erinnerung gibt, wundern sich die anderen darüber, dass die desolate Fläche hinter der Ruine wie überhaupt das gesamte Terrain rund um den Portikus nicht längst ansehnlicher gestaltet wurde. Die Schnelligkeit, mit der der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf den Exil-Museum-Vorschlag reagierte, zeugt fast von schlechtem Gewissen. Tatsächlich hätte sich an dem unwirtlichen Gelände auch in den nächsten Jahren nicht viel geändert. Ideen gab es keine, seit das Grundstück im Austausch für das Tempodrom als vermeintliche Grünfläche ausgewiesen worden war. Anfragen auch nicht.

Der Askanische Platz soll als Grünanlage aufgewertet werden

Innerhalb weniger Monate hat nun der Grünen-Baustadtrat Florian Schmidt eine Vorlage zur Veränderung des Bebauungsplans erarbeiten lassen. In der letzten Sitzung der Bezirksverordneten vor der Sommerpause wurden die Planungen durch eine Nachfrage der CDU bekannt. Am 22. August wird sich der Bauausschuss damit beschäftigen, einen Monat später der Kulturausschuss des Bezirks. Alles deutet darauf hin, dass dem Antrag stattgegeben wird. Auch Kulturstadträtin Clara Herrmann, ebenfalls von den Grünen, begrüßt das Projekt. Es passe zum Ort wie zum Bezirk. 70 Prozent der Anwohner rund um den Anhalter Bahnhof haben einen Migrationshintergrund. „Wir wollen ein Bezirk sein, der Menschen willkommen heißt“, sagt sie. Auch dafür soll das Exil-Museum stehen.

Als Kompensation für die nun wiederum verlorene Grünfläche hinter dem Portikus soll der Askanische Platz als Grünanlage aufgewertet werden. Bislang werde er weder seiner Funktion noch seiner historischen Bedeutung gerecht, heißt es selbstkritisch in der Vorlage. Die räumliche Nähe zum Deutschlandhaus, das gerade für die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hergerichtet wird, und zur Topografie des Terrors spreche ebenfalls für den Standort, greift das Bauamt in seiner Vorlage die Argumentation der Museumsinitiatoren auf. Deutschlandhaus-Direktorin Gundula Bavendamm sieht in den neuen Nachbarn keine Konkurrenz, im Gegenteil.

Die Stiftung Exil-Museum hat damit einen Coup gelandet. Vor einem Jahr machte sie unter unschönen Vorzeichen erstmals öffentlich von sich reden. Damals wurde bekannt, dass Bernd Schultz dem Käthe-Kollwitz-Museum, das gleich neben der Villa Grisebach in der Fasanenstraße residiert, als Mieter kündigen wollte, um selbst mit seinem neuesten Projekt einzuziehen. Die engagierte Antifaschistin Kollwitz gegen das Exil-Museum auszuspielen, das war mehr als eine Ungeschicklichkeit. Auch das als Ersatz angebotene Quartier in Neukölln erwies sich als ungeeignet.

Die Realisierung der Pläne scheint zum Greifen nah

Das schmale Grundstück hinter dem Portikus soll zu Bauland für das Exil-Museum werden.
Das schmale Grundstück hinter dem Portikus soll zu Bauland für das Exil-Museum werden.

© Mike Wolff

Die damalige Direktorin Iris Berndt warf schließlich entnervt das Handtuch. Ihre Nachfolgerin Josephine Gabler wird nun den Umzug des Kollwitz-Museums in das von Kultursenator Lederer gefundene Haus in unmittelbarer Nähe von Museum Berggruen, Bröhan-Museum und Sammlung Scharf-Gerstenberg organisieren, das ihr ohnehin besser gefällt. „Für Kollwitz war der Krach produktiv“, so Christoph Stölzl, Gründungsdirektor des Exil-Museums und gegenwärtig Präsident der Musikhochschule in Weimar. Dass die dann verlassenen Räume in der Fasanenstraße am Ende doch nicht vom Exil-Museum genutzt werden, weil sie sich mittlerweile als zu klein erwiesen haben, wirft ebenfalls kein gutes Licht auf die Genese der jungen Institution.

Und doch befinden sich die Macher des Exil-Museums im Aufwind. Die Realisierung ihrer ambitionierten Pläne auf einer siebenmal größeren Fläche als in der Fasanenstraße scheint zum Greifen nah zu sein. Vom 25. bis 27. Oktober wird Bernd Schultz rund 350 Blatt seiner Privatsammlung zugunsten der Stiftung bei Grisebach versteigern lassen, Zeichnungen von Picasso, Modigliani, Watteau, Warhol, Degas. Mit seiner Familienstiftung will er die ersten sieben Jahre des Museums finanzieren. Weitere Unterstützer sollen den Neubau ermöglichen, die Namen der großzügigen Spender möchte Schultz aus Gründen der Diskretion allerdings nicht preisgeben.

Schultz ist der Motor des Unternehmens, ein „Ermöglicher“, wie er sich selber nennt. Nachdem er sich Ende 2016 aus der Geschäftsführung des Auktionshauses Grisebach zurückgezogen hat, deren Mehrheitsgesellschafter er gleichwohl bleibt, hat er sich das Exil-Museum als nächste Großaufgabe vorgenommen. Durch seine Person gibt er dem künftigen Museum Profil, zugleich polarisiert er aber auch, wie die Ungeschicklichkeiten des Anfangs zeigen. Es wird spannend sein, ob und wie die öffentliche Hand in das Projekt einsteigt, wenn das Museum erst einmal angeschoben ist. Schultz und Kulturstaatsministerin Monika Grütters standen einander in der Diskussion um das Kulturgutschutzgesetz vor drei Jahren unversöhnlich gegenüber. Dass es finanzielle Forderungen und moralische Erwartungen geben wird, ist absehbar.

Chipperfield oder Gehry könnten das Gebäude entwerfen

Der Staat habe seine erste Chance verpasst, so sieht es Stölzl. Bereits 2011 hatte Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin ein Exil-Museum gefordert, der damalige Kulturstaatsminister Neumann reagierte mit der Gründung der Internetplattform „Künste im Exil“. Zu wenig, finden die Museumsinitiatoren. Auch die regelmäßigen Wechselausstellungen zum Thema in den Kunsthäusern der Stadt, selbst feste Räume etwa beim Jüdischen Museum, im DHM oder im Stadtmuseum reichen ihnen nicht, entscheidend sei eine eigene Adresse. „Wir schulden den Menschen einen Ort“, sagt Schultz.

Ist das Grundstück am Anhalter Bahnhof erst einmal übertragen, voraussichtlich als Erbpacht, soll ein beschränkter Wettbewerb für das zwei- bis vierstöckige, 4000 Quadratmeter große Gebäude ausgeschrieben werden. Namen wie David Chipperfield, Volker Staab, Frank Gehry und Peter Zumthor fallen. Ob sie mit ihren Entwürfen des mit 25 bis 30 Millionen Euro veranschlagten Neubaus direkt an den Portikus andocken oder einen gewissen Abstand halten wollen, steht ihnen offen. Die Denkmalpflege zeigt sich bislang aufgeschlossen.

Eröffnung schon 2023?

Derweil laufen die Vorbereitungen. Die Stiftung mit Sitz am Ludwigkirchplatz beschäftigt bereits ein achtköpfiges Team, darunter auch Kuratorin Cornelia Vossen, mit der Christoph Stölzl vor zwei Jahren im Haus Liebermann die medial hochgerüstete Ausstellung über Harry Graf Kessler einrichtete. So soll es wieder werden, denn wie bei Kessler gibt es kaum authentische Erinnerungsstücke. Dennoch soll „mit der größtmöglichen Nahsicht auf das Thema“ gearbeitet werden, so Vossen.

Optimistisch gerechnet könnte schon 2023 Eröffnung sein. Berlin hätte dann sein nächstes Museum. Und eine Brache weniger.

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