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Grüne Spielwiese. Fabian Hinrichs gefällt sich als der reine Tor.

© Davids/Brunner

Fabian Hinrichs: Wir sind alle fertig

Solo durch Berlin: In seinem Stück "Die Zeit schlägt dich tot" ringt der Schauspieler Fabian Hinrichs mit der Großstadt.

Dieser Schauspieler macht wahnsinnige Sachen. Oder: Der Autor und Regisseur René Pollesch hat wahnsinnige Sachen mit diesem Schauspieler gemacht. Da stellt sich Fabian Hinrichs mit ein paar Turnern allein auf die riesige Volksbühne und erzählt irgendwas von „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“. Mit dem Stück war er dieses Jahr zum Theatertreffen eingeladen, hat den Alfred-Kerr-Darstellerpreis gewonnen und noch mehr Sympathien, als ihm ohnehin schon zufliegen, seit Jahren. Fabian Hinrichs ist ein sanfter Wüterich, ein unglaublich netter Kerl, der dann aber gewaltig ausrasten kann.

Man weiß nicht, was ihn antreibt: vielleicht eine überdurchschnittliche Spielintelligenz, ein Kinderglaube an die Macht des Theaters, trotz allem, eine tiefe Verzweiflung oder eine therapeutische Mission? Es treibt ihn jedenfalls mächtig um, was immer es ist, und jetzt springt er ganz und gar solo an die Rampe. Sein neuer Monolog „Die Zeit schlägt dich tot“, uraufgeführt bei den „Foreign Affairs“ der Berliner Festspiele, ist ein Hinrichs ohne Pollesch. Nach der langen Zusammenarbeit klingt der Pollesch-Sozio-Sample-Sound noch durch, aber Fabian Hinrichs will es allein wissen. Wird immerhin von einer Band um den Gitarristen Jakob Ilja von Element of Crime unterstützt, aber sonst: Text und Regie und Performance fließen aus einem Kopf, aus einem Körper.

Was aber soll daran die „Foreign Affair“ sein? Nun ist die Programmierung der Festspiele, was Spielorte wie Künstler betrifft, ohnehin nicht sehr trennscharf, und „Die Zeit schlägt dich tot“ wird im Dezember im Hebbel am Ufer wieder zu sehen sein. Die Institutionen arbeiten mit-, nicht gegeneinander. Was gar nicht dem Berlin entspricht, der Stadt, die Hinrichs fremd geworden ist. Darum geht es, eine Hinrichs-Stunde lang: Berlin hat sich verändert, oder wir sind alle nur ein bisschen älter geworden. Fix und fertig. „Das ist die Stadt/Ich muss mich behaupten/Das will ich nicht mehr/Ich wollte das mal ...“, schreit Hinrichs ins Mikro, eine harte, traurige Rocknummer. Was ist nur los? Wann ist das passiert und wie? Die kreative Gemütlichkeit ist plötzlich weg, der Druck, der ja schon immer da war, hat stark zugenommen, das Bekannte wird unbekannt, wie in einer Liebesbeziehung. Ach, Berlin! Vor dem Ersten Weltkrieg hat Rilke so über Paris geschrieben, was Hinrichs zitiert, und in der Weimarer Zeit hat Brecht so über Berlin gedichtet, im „Lesebuch für Städtebewohner“ („Ihr müsst das ABC noch lernen./Das ABC heißt:/Man wird mit euch fertig werden“).

Fabian Hinrichs verkleidet sich als Schmerzensmann, sehnt sich nach etwas Neuem, stürzt sich in eine Publikumsumarmung, fordert die Zuschauer zu Nettigkeiten mit Nebenmann und Nebenfrau auf. Man müsste sich Sorgen um diesen Schauspieler machen (und um uns alle), wäre da nicht dieses Hinrichs-Grinsen, das sagt: Alles wird gut. Alles scheiße, alles bestens. Umbringen kann man sich später noch. „Die Zeit schlägt dich tot“ erzählt von verlorenen Illusionen, von Menschen, die nicht wissen, was Liebe ist, und Kälte verschenken. Die Performance ist schief und krumm, aber großstädtisch. Sie trifft einen Nerv (noch einmal am Montag, 22.Oktober).

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